Rezension

Öl im Feuer einer gesellschaftlichen Rassismus-Diskussion

Drei Kameradinnen -

Drei Kameradinnen
von Shida Bazyar

Bewertet mit 5 Sternen

Das ist der explosive, wütende und provokante Roman „Drei Kameradinnen“ von Shida Bazyar, der sich in erster Linie mit Alltagsrassismus, aber auch mit Sexismus beschäftigt und dabei ein so breites Bild der deutschen Gesellschaft zeichnet, dass man sich in fast schon Balzacscher Tradition an eine gesellschaftliche Tragödie erinnert fühlt. Schon der Titel verdeutlicht die Explosivität, denn er heißt eben nicht „Drei Freundinnen“, sondern er bedient sich eines Begriffs, der durchaus militärisch konnotiert ist. Diese Radikalität durchzieht den gesamten Text.

Drei Freundinnen mit Migrationshintergrund, Kasih, die Ich-Erzählerin, Saya, und Hani, werden zur Hochzeit ihrer Freundin Shaghayegh zum Zeitpunkt der NSU-Prozesse eingeladen. Alle kennen sich seit ihrer gemeinsamen Kindheit in einer Hochhaussiedlung und nutzen die Gelegenheit, um einige Tage miteinander zu verbringen.  Sie sehen sich noch immer – auch wenn sie inzwischen erwachsen sind – als Verbündete im Strudel der Gesellschaft. Ihre Kindheit und insbesondere ihre Erfahrungen mit Alltagsrassismus in Form von diskriminierenden Stereotypen und sozialer Ausgrenzung haben sie zusammengeschweißt. Dennoch gehen alle Protagonisten unterschiedlich um mit diesen Erfahrungen und mit gesellschaftlichen Reaktionen (auch in Bezug auf die im Roman thematisierten NSU-Prozesse). Während Hani und Kasih sich eher anpassen, distanzieren oder gar verdrängen – weil sie „den Blick der Anderen“ (frei nach Sartre) auf ihren Migrationshintergrund fürchten -, reagiert Saya mit offener Wut und Auflehnung. Als während der Hochzeit ein Haus brennt, wird Saya daher auch vorgeworfen, einen islamistisch motivierten Terroranschlag verübt zu haben.   

Der wahre Kunstgriff ist der Autorin jedoch mit der modernen Struktur des Romans gelungen, der eben nicht wie das von der Erzählerin kritisierte Deutschklausuren-Konzept: Einleitung, Hauptteil, Fazit aufgebaut ist, sondern eher dem rückblickenden und analysierenden Gedankenstrom der Erzählerin innerhalb einer Nacht entspricht, wobei bekannte narrative Strukturen über Bord geschmissen werden. An ihrer statt werden Vergangenheit und Gegenwart sowie Realität und Fiktion scheinbar beliebig ineinander verwoben. 

So hat der Roman seinen Ausgang an einem namenlosen Stadtrand. Genauer wird er bewusst nicht benannt, denn er könnte überall sein. Ebenso wenig werden die Länder angeführt, aus denen die Eltern der Protagonisten stammen,  denn das täte nichts zur Sache, wie die Erzählerin mehrfach betont, und bediene nur Vorurteile. Die Besonderheit der Erzähltechnik stellt eine vermeintlich auktoriale Ich-Erzählerin dar, die in einem Spannungsverhältnis zum Leser steht, da sie sich bereits zu Beginn des Romans selbst in Frage stellt und somit extrem subjektiv und selektiv wirkt. Sie ist dabei mehr als nur eine Vermittlerin des Erzählten, vielmehr stellt sie eine den Erzählvorgang ständig reflektierende, thematisierende und manipulierende Instanz dar, die letztendlich ein moralisches Ansinnen verfolgt, der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten und Perspektiven umzudrehen. Täter werden so zu Opfern und umgekehrt. Das gilt nicht nur für die Protagonisten und Figuren, sondern gerade auch für die Leser. Dadurch, dass Kasih den „weißen Leser“ ständig provoziert, angreift und sogar beleidigt, schafft sie ein Gefühl, das wohl dem Lebensgefühl eines angefeindeten, wenig tolerierten Migranten gleichkommt, alles mit der Intention, einfaches Schubladendenken zu begraben. Dabei spielt sie selbst mit jedwedem Klischee, das das gesellschaftliche Tableau zu bieten hat, um es ad absurdum zu führen. Das ist für den Leser nicht immer leicht, denn wer wird schon gerne provoziert und in Schubladen gesteckt?  Sie etabliert dadurch aber ein (Sitten)Gemälde der aktuellen deutschen Gesellschaft , das - um in der Balzacschen Sprache zu bleiben -  dem einer menschlichen Tragödie gleicht.     

Fazit: Ein bedeutungsschwerer, radikaler Text, der es dem Leser nicht einfach macht, da er an die Grenzen des Ertragbaren geht und provoziert, dabei aber auch einseitig bleibt und bewusst nicht differenziert. Das Durchhalten lohnt sich aber, denn die Autorin versteht es meisterlich, Alltagsrassismus und destruktive Strukturen der deutschen Gesellschaft radikal zu entlarven. Oder in Anlehnung an das Cover: Hier wird Öl ins Feuer einer notwendigen gesellschaftlichen Diskussion gegossen!