Rezension

Oh heilige Einfalt

Sturz der Titanen - Ken Follett

Sturz der Titanen
von Ken Follett

Bewertet mit 1 Sternen

 

Fesselnd schreiben kann er, der Ken Follett, ansonsten hätte ich die 1020 Seiten der Taschenbuchausgabe wohl nicht durchgehalten. Am Beispiel von vier Familien aus Großbritannien, Deutschland, Russland und den USA zeigt er den "Sturz der Titanen", d.h. den Machtverlust des alten Europa zugunsten der USA und der Sowjetunion nach. Doch auf den zweiten Blick wird die Lesefreude durch die überkonstruierte Machart des Romans getrübt. Dies sei am Beispiel der deutschen Hauptfigur Walter von Ulrich erklärt. Aus politischen und privaten Motiven (er liebt die Schwester seines britischen Jugendfreundes Fitzherbert) versucht er in der Julikrise 1914 bis zuletzt, den Frieden zu erhalten. Als das nicht gelingt, geht der (mittlerweile insgeheim verheiratete) Walter als Soldat an die Front. Dort nimmt er an der Schlacht von Tannenberg teil, in der der russische Vormarsch in Ostpreußen gestoppt wird. Pünktlich zur Weihnachtsverbrüderung 1914 ist er an der Westfront, wo ihm dann auch noch ausgerechnet sein Schwager begegnet. Wiederum zwei Jahre später ist er bei den Truppen, die den britischen Durchbruchversuch an der Somme stoppen (wobei er wieder seinem Schwager gegenübersteht). Auf Heimaturlaub wird der in den Versuch des amerikanischen Präsidenten Wilson, Frieden zu vermitteln, involviert. Anschließend ist er Teilnehmer an der Konferenz, in der Deutschland den Beschluss zur Wiederaufnahme des uneingeschränkten U-Bootkrieges fasst, der die USA dann in den Krieg hineinziehen wird. Danach ist er Mitglied der Delegation, die Lenin durch Deutschland lotet, damit der die russische Revolution vorantreiben kann, damit Deutschland einen Gegner weniger zu verzeichnen hat (wobei die Finanzierung Lenins Walters Idee ist). Zuguterletzt ist er wieder Frontoffizier, der die Truppen in der letzten deutschen Offensive 1918 zum Sieg führen soll, und die ausgerechnet in seinem Frontbereich durch den ihm gegenüberstehenden amerikanischen Freund Gus Dewar gestoppt wird. Am Ende ist er dann Mitglied der deutschen Verhandlungsdelegation in Versailles. Ein wahrer Tausendsassa also. Ich denke, weniger wäre hier mehr gewesen. Außerdem scheint die Welt ein Dorf zu sein, weil sich die Wege der Hauptfiguren in den unmöglichsten (und damit unglaubwürdigsten) Situationen kreuzen.
Für die Fortsetzung, die ich mir schenken werde, sage ich mal voraus, dass Walter von Ulrich im diplomatischem Dienst bleibt, an den Verträgen von Rapallo und Locarno mitwirkt, zum Gefolge Stresemanns bei Deutschlands Aufnahme in den Völkerbund gehören wird. Die Leseprobe verrät außerdem, dass er bis zuletzt gegen die Machtübernahme Hitlers kämpfen wird. Wahrscheinlich geht er zur Armee zurück, schließt sich dort oppositionellen Kreisen an, was ihn aber nicht daran hindern wird, am Frankreichfeldzug teilzunehmen, wo er bei Dünkirchen wieder einmal Fitzherbert gegenüberstehen wird (wahrscheinlich sind die freundschaftlichen Beziehungen der Grund für das Entkommen der Briten). An die Ostfront versetzt wird er als einer der letzten aus dem Kessel von Stalingrad ausgeflogen werden, wo ihm als Politkommissar Grigori Peschkow gegenübergestanden hat. Beim D-Day wird er wieder auf seinen amerikanischen Freund Gus Dewar treffen, am Ende des Krieges wird er der deutschen Delegation angehören, die die bedingungslose Kapitulation unterschreibt. Ach ja, am Attentat auf Hitler ist er natürlich auch beteiligt. Sein Leben dürfte er als außenpolitischer Berater der Regierung Adenauer beenden ( Es sei denn, er lebt noch und betätigt sich mittlerweile als Diplomat in Sachen Finanzkrise und internationaler Terrorismus).
Alles in Allem, ein auf dem Reißbrett durch und durch konstruierter Roman.