Rezension

Ohne Frage ein Klassiker der Weltliteratur

1984 - George Orwell

1984
von George Orwell

Bewertet mit 3 Sternen

George Orwells "1984" ist ein Klassiker, der schon lange auf meiner Leseliste und seit Jahren in meinem Regal stand. Mit dem Hörbuch habe ich es endlich angepackt und mich dem Godfather der Dystopie gewidment - so zumindest sehe ich "1984" jetzt. Denn die Geschichte spielt in einer Welt, die mir in mehr oder weniger abgeschwächter Form schon in zahlreichen Romanen, Comics und Filmen begegnet ist. In "V wie Vendetta" ist es ein totalitäres Großbritannien, in "Die Tribute von Panem" der Staat Panem, der aus den ehemaligen USA entstanden ist - in "1984" ist es Ozeanien, eine der drei großen Weltmächte, die ständig in irgendeiner Art und Weise miteinander im Krieg liegen. Genauer gesagt: "1984" spielt in einem London, das man sich so auf gar keinen Fall vorstellen mag.

 

An jeder Ecke gibt es Parallelen zum Dritten Reich und dem Nationalsozialismus, was auch überhaupt nicht verwunderlich ist, denn schließlich schrieb George Orwell den Roman bekanntermaßen im Jahr 1948, also drei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges. Er zeichnet das schauderhafte Bild einer Zukunft, die es so geben könnte, wenn die Ideologie der Nationalsozialisten die Oberhand gewinnen würde. Eine Zukunft, in der jeder dank modernster Technik und Spitzeln an jeder Ecke ständig überwacht wird, in der das freie Denken strengstens verboten ist, in der die Menschen alle gleichgeschaltet sind und die Realität jeden Tag aufs Neue genau so zurechtgebogen wird, wie die Partei es gerade braucht. Bei vielen Elementen, die Orwell in seine Geschichte eingebaut hat, ist es mir eiskalt den Rücken runtergelaufen: Die Teleschirme in jedem Raum, die alles überwachen und vor denen man weder frei sprechen noch sich frei bewegen kann - hat Orwell im Jahr 1948 etwa schon das Smartphone vorhergesagt? Oder auch Big Brother, die ominöse gottgleiche Gestalt, die gewissermaßen über ganz Ozeanien wacht und nach deren Gunst alle Bürger streben sollen. Oder das Ministerium für Wahrheit, das in Wahrheit eine Fake News Schmiede ist.

 

Das nämlich ist der Arbeitsplatz von Winston Smith, dem Protagonisten in "1984". Wie hunderte anderer Menschen verbringt er seine Tage damit, im Auftrag der Partei Publikationen (seien es Zeitungen, Filme oder Bücher) zu korrigieren - je nachdem, welche Wahrheit gerade gilt. Befindet sich Ozeanien beispielsweise wieder einmal nicht mehr mit Eurasien, sondern mit Südostasien im Krieg, werden alle Aufzeichnungen so abgeändert, dass es so aussieht, als würde das Land schon immer gegen Südostasien in den Krieg ziehen. Und beim nächsten Richtungswechsel ist dann wieder Eurasien der immer währende Feind. Diese Praktik wirkt absolut absurd - am absurdesten aber ist, dass die Menschen in Orwells Roman die vielen so schlecht als Wahrheiten verkauften Lügen der Partei gleichmütig hinnehmen, dass sie sich nicht mal ansatzweise die Mühe machen, daran zu zweifeln. Und genau diese Gleichgültigkeit, das starre Geradeaus-Blicken und Nicht-Denken ist es, was "1984" dominiert. Und es ist sicher genau das, was Orwell nach dem Fall des Dritten Reichs am meisten schockiert haben muss - wie kann man alles, was einem gesagt wird, als gegeben hinnehmen? Mit Scheuklappen durch die Welt gehen? Von den Verbrechen der Partei nichts gewusst oder sich schlichtweg nicht dafür interessiert haben?

 

Denn zu was die Partei in Orwells Roman imstande ist - das offenbart sich im Verlauf der Handlung und ich kann euch sagen: Es gibt kaum ein Verbrechen, das die Schergen der Partei unter dem wachsamen Blick des großen Bruders nicht begehen. Mit Winston Smith folgt man einem Rebellen, der zwar keineswegs leidenschaftlich oder von Prinzipien getrieben ist, der sich aber in diesem London irgendwie unwohl fühlt. Lange weiß er selbst nicht, warum, fängt aber nach und nach an zu realisieren, dass es die Partei mit ihren Machenschaften ist, die ihn stört und verstört. Es entwickelt sich eine Liebesgeschichte zwischen Winston und seiner ebenfalls recht aufrührerischen Parteigenossin Julia und gemeinsam wollen die beiden sich dem Widerstand anschließen, von dem sie überzeugt sind, dass es ihn irgendwo im Untergrund geben muss. 

 

Das Bemerkenswerte an dieser Dystopie ist die Atmosphäre: Von Anfang an fühlt man sich beim Lesen beziehungsweise Hören unwohl. Man stellt sich eine kalte Stadt in einem grauen Land mit kalten Menschen vor. Ein bisschen musste ich an die Dementoren aus "Harry Potter" denken: Es ist, als würde alle Freude aus einem herausgesaugt. Und während die Menschen in der Geschichte nicht mehr denken wollen oder können, denkt man selbst umso mehr. Die grauen Rädchen drehen sich und man versteht genau, was Orwell empfunden haben muss, als er nach Ende des Zweiten Weltkriegs und nachdem die entsetzlichen Verbrechen des Holocaust offenbart wurden dieses Buch schrieb. "1984" lebt von der erschreckenden Atmosphäre, von der Hoffnungslosigkeit und von den zahlreichen Details - denn mit jedem einzelnen wird die Geschichte noch ein Stück schauderhafter und unvorstellbarer.

 

Handwerklich ist dieser Roman sensationell - allerdings wurde er für mich auch zur Qual. Nicht nur, weil das Erzählte eben so schmerzhaft ist und weil Hörbuchsprecher Sebastian Rudolph dieses Kalte, Unnahbare atemberaubend gut zum Ausdruck bringt. Sondern auch, weil mir der Draht zu den Figuren fehlte und die Handlung einfach an vielen Stellen aufgebläht und lang gezogen wirkte. Wie gesagt: Ich will gar nicht das schlecht reden, was die Geschichte transportieren und vermitteln soll - denn wie oben geschrieben tut sie das ohne jeden Zweifel. Als Leser braucht man aber irgendetwas, an dem man sich festhalten kann. Es gibt so gut wie nichts Gutes in dieser Geschichte. Keine Figur, die man irgendwie gern haben kann. Keinen Hoffnungsschimmer, kein Happy End. Und auch wenn mir absolut klar ist, wieso das so ist und auch wenn ich weiß, dass es genau diese Dinge sind, die den Leser aufrütteln und ihm das ganze Elend eines totaliären Staates vor Augen führen sollen, war es doch auch genau das, was es mir so unglaublich schwer gemacht hat, das Buch lesen beziehungsweise hören zu wollen. Ich bewundere Orwell, ganz ohne Frage. Aber "1984" hat mich in vielerlei Hinsicht wirklich geschafft.

Mein Fazit

Warum George Orwells "1984" ein so großer Roman und auch 70 Jahre nach seinem Erscheinen noch brandaktuell ist, war mir schon nach den ersten Minuten des Hörbuchs klar. Das Setting ist von vorne bis hinten großartig gestrickt, bis ins kleinste Detail ist Orwells totalitärer Staat ein Sinnbild für pure Willenlosigkeit und pures Grauen. In gewisser Weise hat Orwell in seinem Buch sogar unsere Zukunft vorausgesagt - man denke an Big Brother, die Teleschirme und Fake News (erschreckend genug, dass es in seiner Geschichte etliche Parallelen zu unserer heutigen Gesellschaft gibt). Trotzdem ist das kein Buch, das ich noch einmal lesen werde. Nicht nur die Atmosphäre hat mich wirklich geschafft, sondern auch die fehlende Nähe zu den Figuren, die allgegenwärtige Hoffnungslosigkeit und die wenig überraschende Handlung. Trotzdem: An diesem Buch kommt man auch heutzutage sicher nicht mehr vorbei.