Rezension

Ohne Orientierung

Kompass ohne Norden - Neal Shusterman

Kompass ohne Norden
von Neal Shusterman

Bewertet mit 5 Sternen

Caden ist 15 Jahre alt, ein ganz normaler Junge und sehr beliebt, mit einer besonderen Begabung für das Zeichnen. Doch nach und nach kippt seine Welt: Da ist dieser fremde Junge in der Schule, der bestimmt ein Messer hat und ihn ermorden will, er kann die Termiten hören, die das Elternhaus zernagen, er steckt voller Unruhe und muss dauernd laufen. In seiner Phantasie befindet er sich auf einem Schiff, der Kapitän ist ein Tyrann, der Schiffspapagei und die Galionsfigur geben Caden Anweisungen, und er ist völlig orientierungslos. Seine Eltern sind beunruhigt, seine Freunde ziehen sich zurück: Nimmt er vielleicht Drogen? Es dauert lange, bis Caden endlich in der Jugendpsychiatrie landet und mit Medikamenten behandelt wird. Seine Diagnose: Schizophrenie. Nun beginnt sein Kampf aus der Abwärtsspirale wieder hinauf.

Neal Shusterman ist bekannt als Autor von dystopischen Jugendbüchern. Auch hier steht ein Jugendlicher im Mittelpunkt, auch hier ist die Welt aus den Fugen geraten, ist bedrohlich und angsteinflößend. Doch dieses Buch hat reale Wurzeln: Im Vorwort schreibt der Autor, dass jede dritte Familie in den USA von psychischen Erkrankungen betroffen sei; bei uns dürfte die Zahl wohl nicht viel geringer ausfallen. Und Shusterman ist persönlich betroffen: Sein Sohn Brendan hatte mit 16 Jahren eine psychotische Episode und bekam die Diagnose schizoaffektive Störung. Als Vater hat der Autor Brendans Leiden ganz nah miterlebt und auch seinen Weg aus der Krankheit. Seine Schilderungen sind authentisch.  Das Buch ist illustriert mit Zeichnungen, die Brendan Shusterman während dieser Zeit angefertigt hat.

Ein schwieriges Thema, das im Alltag gern vermieden wird. Shusterman beschreibt Cadens Innensicht mitreißend, ich kann mich als Leser mit ihm in der verwirrenden Welt auf dem Schiff verlieren und seine Ängste nachempfinden. So entwickelt sich Mitgefühl nicht nur mit Caden, sondern auch mit anderen Menschen, deren Verhalten uns abnormal erscheint und die leicht zum Außenseiter werden. Dabei bleibt Shusterman realistisch: Die Krankheit ist nicht heilbar - doch sie ist behandelbar, und dieser vorsichtige Optimismus tröstet mich, die ich gleichfalls betroffen bin durch die Krankheit eines Familienmitglieds.

Das Buch steht auf der Nominierungsliste zum Deutschen Jugendliteraturpreis 2019, und das gleich doppelt: Es wurde von der Kritikerjury in der Sparte Jugendbuch und gleichzeitig von der Jugendjury benannt. Eine solche doppelte Nominierung gibt es diesem Jahr sogar zweimal; eigentlich ein sehr seltener Fall. Wenn ein Buch sowohl die Erwachsenen als auch die Jugendlichen überzeugt - das spricht für sich!

Kommentare

FIRIEL kommentierte am 23. Oktober 2019 um 06:34

Dieses Buch hat den Preis der Jugendjury gewonnen!