Rezension

Olga Grjasnowa - ihr neuer Roman!

Juli, August, September -

Juli, August, September
von Olga Grjasnowa

Bewertet mit 4 Sternen

auf jeden Fall gut genug, um an ihren anderen Büchern interessiert zu sein

Eine literarische Neuheit und ein gewagtes Unterfangen über die Grenzen hinweg: Ein Resümee am Anfang (vor allem zu dem Begriff 'Unterfangen') – die einen sagen, zu klischeehaft, die anderen zu überladen, die dritten 'schadet dem Judentum'. So ehrlich zu sein?
Die Grenzen – Deutschland, Kanaren, Israel. Russland und UdSSR...

Allein schon der Titel – Juli, August, September – und die eigenwillige Aufteilung, Juli in Deutschland, August auf den Kanaren, September in Israel, deutet an, dass dies kein gewöhnlicher Roman ist. Denn es geht der Autorin auch, oder vor allem, um die Verarbeitung der eigenen familiären Geschichte, obgleich natürlich der Roman Fiktion ist. Verwischung der Grenzen? Beziehen schreibende Menschen nicht oft ihre eigene Geschichte mit ein? Wertfrei sind auch sie nicht, die Schreibenden.

Die Autorin Olga Grjasnowa stammt aus Baku, Aserbaidschan, doch bereits bei ihrem Namen weiß die gewiefte Leserschaft, da scheint eine kürzliche oder vor langem vollzogene Migrationsgeschichte (ohne Namensänderung, das muss durchaus erwähnt werden, denn bei nicht wenigen Namen wurde bei der Ankunft in ein neues Land oder Region angepasst der traditionelle Namen geändert...) dabei zu sein. Doch um es gleich zu sagen – Grjasnowa ist kein jüdischer Name, jüdische Familien nahmen in der Sowjetunion Namen an, um der Diskriminierung zu entgehen (kommt mir das nicht sehr bekannt vor...? Denn nicht nur dort passierte das...). Kontingentflüchtling aufgrund des jüdisch – russischen Hintergrundes (ist denn bekannt, dass auch in der UdSSR Progrome gegen jüdische Teile der Bevölkerung stattfanden?)

Das Buch: Inhalt -  eine 'fiktive' Familiengeschichte, oder Frauengeschichte, oder Generationengeschichte? Oder sogar eine Liebesgeschichte?
Die Hauptfigur ist Ludmilla (Lou), Galeristin in ihren Dreißigern, Mutter von Rosa, Gattin des erfolgreichen Pianisten Sergej. Eine Ehe die so ganz in Ordnung ist, aber auch nicht mehr... (keine Liebesgeschichte mehr?)
Ihrer aller Jüdischsein ist eher nur auf dem Papier vorhanden.
Doch dann kommt die kleine Rosa, nach einem Besuch bei einer Freundin, mit Fragen zum Buch über Anne Frank an. Denn Rosa glaubt, dass es ein gewisser Hitler geschrieben hat. Nun setzt bei Lou eine schmerzhafte Auseinandersetzung mit der jüdischen Identität ein. Der Glaube, die jüdische Kultur (was mehr oder weniger doch bereits ständig ihr Leben und das der Familie bestimmte), zumindest in der Erinnerung an die kürzliche Vergangenheit der Familie, sich jedoch kaum in den Begebenheiten und dem tagtäglichen Leben wiederfindet – die Kleinfamilie in Berlin sind sozusagen assimilierte Juden. Als Lou ihren Mann auf ihre jüdische Identität ansprich, sagt dieser: „ Juden haben keine Wurzeln, Juden haben Beine.“
Das ist der Juli.
Dann kommt die Einladung zum Geburtstag der 90jährigen Großtante - die Großfamilie tritt in Erscheinung. Sehr jüdisch und noch traditionell osteuropäisch, wobei ihr Leben in Israel daran nichts änderte (wer Israel kennt, weiß das aus dem Alltag, dass die aus unterschiedlichen Regionen stammenden jüdischen Menschen ihre jeweiligen Traditionen beibehalten haben).
Der August eben – der Besuch auf den Kanaren. Die Großtante und die ex-sowjetische Familie aus Israel kommen in Gran Canaria in diesem 'all-inclusive' Hotel zusammen. Im Hotel wird Lou mit dem Holocaust und den Auswirkungen auf ihre Familie konfrontiert.

Die Dreigliedrigkeit des Romans führt ein in die Gedankenwelt der Ich-Erzählerin Lou: In Juli steht die Kleinfamilie im Mittelpunkt, vor allem auch die Beziehung der Ehepartner zueinander und ihr Judentum. Den August dominiert das Familientreffen (mit den Feinheiten und Auseinandersetzungen auf Cran Canaria)
Lous wird erschüttert durch die Rückgriffe auf die Vergangenheit von Großmutter und der gefeierten Großtante, was Lou dann im September zum letzten Teil ihrer Identitätssuche führt – nach Israel.

Das Buch hat die perfekte Kürze! Zugegeben, dass habe ich bei jemanden Anderem gelesen, aber es hat mir gefallen...perfekte Kürze. 224 Seiten sind perfekt zum Einlesen in das Thema 'jüdische Familie', perfekt zum Mitnehmen, perfekt zum sich Stimulieren lassen z.B. mehr zur jüdischen Kultur in Osteuropa zu lesen... Ich merke zunehmend, dass kürzere Bücher (also um die 200 Seiten) viel mehr Literatur versprechen als die 'langen Schmöker'. Wie heißt das Sprichwort – 'In der Kürze liegt die Würze', scheint darauf abgestimmt zu sein...

Ein nachdenkliches Buch und bestimmt keine leichte Kost, daher ist die Kürze des Romans genau richtig. Die perfekte Kürze!

Olga Grjasnowa ist eine anerkannte Größe in der deutschsprachigen Literaturwelt. (Interessant daran ist, dass sie erst mit elf Jahren Deutsch lernte).
Bücher von ihr: 'Der Russe ist einer, der Birken liebt', ein großartiges Buch, mittlerweile auch verfilmt; 'Die juristische Unschärfe einer Ehe' (ebenfalls bei Hanser wie das vorliegende Buch), neben weiteren vielfältigen Veröffentlichungen.
Preisgekrönt – Klaus -Michael Kühne – Preis, Anna Seghers - Preis (zudem weitere Auszeichnungen)
Stipendiatin u.a. der Robert-Bosch Stiftung (Grenzgänger Stipendium)... die Liste ihrer internationalen Auszeichnungen und Stipendien ist umfangreich.
Jugend im Kaukasus, längere Aufenthalte in Polen, Israel und Russland, hat sie heute eine Professur am Institut für Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst Wien und lebt dort, zuvor lebte sie in Berlin, New York etc., und ist mit einem syrischstämmigen Schauspieler verheiratet.