Rezension

Opulente und magische mexikanische Familiengeschichte

Das Flüstern der Bienen -

Das Flüstern der Bienen
von Sofia Segovia

Bewertet mit 4.5 Sternen

Anfang des 20. Jahrhunderts im kleinen mexikanischen Ort Linares: die alte Amme Nana Reja findet ein neugeborenes Baby, das über und über von Bienen bedeckt ist. Sie halten das Kind am Leben, denn es ist durch eine Lippen-Kiefer-Gaumenspalte deformiert. Fortan lebt der kleine Simonopio auf dem Anwesen der Familie Morales. Seine Bienen sind immer bei Simonopio, durch sie erfährt er Dinge, die anderen Menschen verborgen bleiben und hilft so „seiner“ Familie vor der Spanischen Grippe in Sicherheit zu ziehen und auch neue Anbaumethoden auszuprobieren. Während all dieser Jahre tobt ein Bürgerkrieg im Land und Großgrundbesitzer wie Francisco Morales müssen ständig um ihr Land fürchten. Als die Morales' einen Sohn bekommen, wachsen er und Simonopio wie Brüder auf. Doch die Gefahr für die Familie wächst weiter, nur Simonopio ahnt, dass derjenige, der allen schaden will, längst auf dem Land der Familie lebt.

 

Sofia Segovias Roman konnte mich mit einer opulenten, bildhaften Sprache sofort für sich einnehmen. Die Landschaft und die Menschen von Linares entstanden klar und detailreich vor meinen Augen. So wird Nana Reja uzm Beispiel wie ein knorriger Baum beschrieben. Vor allem die Pandemie 1918, die wie ein Sturm durch den Ort fegt, hat die Autorin fesselnd aus verschiedenen Perspektiven geschildert. Auch der Höhepunkt der Handlung wird durch viele kurze Kapitel aus verschiedenen Blickwinkeln dargestellt.

Schon zu Beginn merkt man, dass noch eine Person die Familiengeschichte erzählt. Wer dies ist, setzt sich im Laufe der Handlung zusammen. Ich hatte mit diesem Perspektivenwechsel keine Probleme.

Die magischen Elemente der Handlung, allen voran Simonopios übernatürliche Fähigkeiten, die „Bienensprache“ zu verstehen, sind meiner Meinung nach sehr behutsam und harmonisch in die Handlung eingeflochten. So konnte auch ich mich mit dem für mich neuen Genre „Magischer Realismus“ anfreunden. Diese Aspekte machen den Roman für mich unvergesslich und haben sich, zusammen mit der wunderschönen Sprache, nachhaltig bei mir eingeprägt.

 

Dem Leser wird sehr schnell klar, wer der Widersacher der Familie Morales ist. Der Antagonist wird nicht sehr facettenreich dargestellt, er ist ganz deutlich böse und verdient kein Mitleid. Ein paar Ursachen für den Hass und die Verblendung dieses Menschen kann man sich zusammenreimen, mir war es aber insgesamt zu schwarz-weiß dargestellt. Denn Francisco und Beatriz Morales sind ebenso klar die „Guten“ in dieser Geschichte. Warum Simonopio so herzlich von ihnen aufgenommen wird, bleibt im Dunkeln, es ist aber auch nicht mehr von Bedeutung, nachdem der Junge für die Familie so viel Positives bewirkt. Dies ist der einzige Aspekt, bei dem ich mir wünsche, dass die Autorin ihre Charaktere noch facettenreicher ausgearbeitet hätte.

 

Das Ende des Romans war zwar dramatisch, aber auch versöhnlich und passte sehr gut ins Gesamtbild. Für den Leser bleibt sogar Raum für verschiedene Deutungen. Dies gefiel mir sehr gut.

 

„Das Flüstern der Bienen“ war eine schöne und tragische Familiengeschichte mit einem Touch Magie, die den Roman zu einem opulenten Leseerlebnis für mich machte. Trotz Schwächen bei der Ausarbeitung der Charaktere vergebe ich gerne 4,5 Sterne.