Rezension

Originell, aber auch recht pathetisch

Ich fürchte mich nicht
von Tahereh Mafi

Bewertet mit 4 Sternen

"HELFT IHM!", schreie ich und falle auf die Knie, den Blick auf den Mann am Boden gerichtet. Die anderen Soldaten nähern sich jetzt langsam, so vorsichtig, als könne Jenkins ansteckend sein. "Bitte - ihr müsst ihm helfen! Bitte -"
"Kent, Curtis, Soldedad - KÜMMERN SIE SICH DARUM", schreit Warner seinen Männern zu, bevor er mich auf die Arme nimmt. 
Ich trete noch um mich, währen die Welt schwarz wird.

KLAPPENTEXT:
Ihr Leben lang war Juliette einsam, eine Ausgestoßene – ein Monster. Ihre Berührung ist tödlich, man fürchtet sie, hat sie weggesperrt. Bis die Machthaber einer fast zerstörten Welt sich ihrer als Waffe bedienen möchten. Doch Juliette beschließt zu kämpfen – gegen die, die sie gefangen halten, gegen sich selbst, das Dunkel in ihr. An ihrer Seite ein Mann, zu dem sie sich unaufhaltsam hingezogen fühlt. Ihn zu berühren ist ihr sehnlichster Wunsch – und ihre größte Furcht...

MEINE MEINUNG:
Tahereh Mafis Debüt "Ich fürchte mich nicht" hebt sich nicht nur aufgrund des wunderschönen, Interesse weckenden Covers von anderen Romanen ab, sondern auch wegen des ausgefallenen Schreibstils. Erzählt ist die Geschichte aus der Ich-Perspektive der Protagonistin Juliette, wobei die Autorin, um den Zwiespalt zwischen Dingen, die die Hauptfigur fühlt und Dingen, die sie fühlen darf, zu verdeutlichen, durchgestrichene Sätze und Satzfragmente nutzt. Gemeinsam mit den vielen metaphorischen Beschreibungen hat das gesamte Werk so einen komplett eigenen Stil, wirkt aber des Öfteren auch äußerst überlastet.

Juliette ist zu Anfang ein sehr gebrochener, verzweifelter und einsamer Charakter an der Schwelle zum Wahnsinn. Durch die jahrelangen Verachtung, den Hass und die Anfeindungen, die sie ertragen musste, hält sie sich selbst für minderwertig; hinzu kommt natürlich noch ihre angeborene Fähigkeit, anderen Menschen durch bloße Berührung Schmerzen zuzufügen. Im Laufe der Handlung macht sie eine relativ glaubwürdige Entwicklung durch, die mir jedoch zum Ende hin zu schnell ging. Adam, ihr anfänglicher Zellengenosse und späterer Verbündete, ist ein sympathischer Mann, den man schnell ins Herz schließt. Allerdings wirkt er im Bezug auf Juliette recht verkitscht, denn kein Mann würde solche schwülstige Aussagen von sich geben - dadurch ist er leider nicht immer komplett ernst zu nehmen.

Dagegen wirkt der junge Befehlshaber Warner, der Juliette unbedingt für seine Zwecke missbrauchen will, sehr glaubwürdig und durchdacht. Er ist definitiv ein Psychopath und definitiv nicht bei Sinnen; dies macht ihn aber grade zu einem so interessanten und vielschichtigen Charakter, der fasziniert, aber auch abstößt. Ansonsten lernt man nur wenige Figuren näher kennen, da sich die Autorin definitiv auf die drei Hauptfiguren konzentriert. Auf diese Weise bleiben sonstige Personen sehr blass, können aber in den Folgebänden auf jeden Fall noch gut ausgearbeitet werden.

Tahereh Mafi schafft mit den todbringenden Fähigkeiten ihrer Protagonistin eine gute und spannende Grundlage für die Geschichte, die darauf folgt. Etwas, was ich nicht mehr im Kopf hatte, überraschte mich beim Lesen: "Ich fürchte mich nicht" ist nicht nur Fantasy, sondern auch Dystopie. Dieser Aspekt wird hier jedoch wenig neu ausgelegt und hätte meiner Meinung nach auch durchaus weggelassen werden können, da sich sowieso mehr auf die Liebe zwischen Adam und Juliette sowie Juliettes Suche nach sich selbst konzentriert wird. Die Romantik kommt dabei in der Tat schnell auf, dies ist aber aufgrund von zwei Details auch verständlich. Dennoch wird das Ganze zwischendurch etwas schwülstig, weshalb Gegner von Kitsch das Buch mit Vorsicht genießen sollten.

Zudem werden hier so viele Metaphern, Vergleiche und ungewöhnliche Beschreibungen verwendet, dass es manchmal schon richtig plattitüdenhaft wirkt - als wolle die Autorin damit über die Schwächen hinwegtäuschen. Dabei hat sie das eigentlich nicht nötig, denn bis zum Ende hin bleibt der Roman spannend und mitreißend. Manchmal ist mehr eben doch weniger. Nichtsdestotrotz kann auch der Schluss überzeugen, wenn er auch ebenfalls etwas verkitscht und vor allem -knutscht daherkommt. Ich bin gespannt, was Band 2, "Rette mich vor dir", für uns bereithält.

FAZIT:
"Ich fürchte mich nicht" besitzt eine tolle Grundidee in Verbindung mit einer mäßigen dystopischen Welt, was die recht interessanten Hauptcharaktere jedoch wieder wettmachen. Nur die vielen, vielen Stilmittel, die Autorin Tahereh Mafi nutzt - und die zwischenzeitlich überhand nehmen - sowie der zwischenzeitliche Kitsch trüben das Gesamtbild. Daher gibt es sehr knappe 4 Punkte von mir, und eine Empfehlung, es definitiv mal auszuprobieren.