Rezension

Originell, tiefsinnig und brillant erzählt

Mittagsstunde - Dörte Hansen

Mittagsstunde
von Dörte Hansen

Bewertet mit 4 Sternen

„Es ging hier gar nicht um das bisschen Mensch“
Mit dieser Botschaft entlässt man uns aus diesem Buch und ja, das ist tiefsinnig, spitzfindig und mehrdeutig, wenn man gerade dem Niedergang des beschaulichen Landlebens in Brinkebüll beigewohnt hat.

Dörte Hansen erzählt wunderbar. Voller Ehrfurcht habe ich diesem Buch gelauscht, das in brillanter Sprache, voller wohl gesetzter Spitzen und feinsinnigen Beobachtungen, vom Leben auf dem Lande erzählt. 

Es wird ein Bogen gespannt von den 60er Jahren bis heute. In Episoden, die zeitlich hin und her springen, erfährt man von Ella und Sönke Feddersen, die den Brinkebüller Gasthof betreiben und von ihrer Tochter Marit, die anders ist. 
In der Gegenwart kümmert sich Ingwer, Marits Sohn, um seine gebrechlichen Großeltern. Im Gasthof passiert nicht mehr viel, außer dass Heiko Kettelsen mit den Brinkebüller Buffalos Linedance trainiert. Man lernt hier viele skurrile Gestalten kennen, die wirklich eigen aber auch durch und durch typisch sind. 
Über Gönke Boysen erfährt man z.B.:
„Es lief auch optisch nicht sehr gut für sie. Mit 14 waren ihre Brillengläser dick wie Glasbausteine und auf Wangen, Stirn und Nase loderte die Akne, wie ein flammendes Inferno. Greta Boysens hausgemachter Rundschnitt machte den Gesamteindruck nicht besser.“ 

Höchst originell wird hier von ein paar Menschen erzählt, die sich mit dem Fortschritt auseinandersetzen müssen, mit dem Zahn der Zeit in allen Erscheinungsformen. 
„Die Zeit der Bauern ging zu Ende… Zeitalter fingen an und endeten.“ Das ist dann die Moral von der Geschicht, die leider recht plakativ an den Mann gebracht wird. Gegen Ende bekommen wir ein belehrendes Resümee, das die Feinsinnigkeit des Buches kaltstellt. Fast meint man, die Autorin hätte ihrer Geschichte nicht getraut.
Das ist schade, aber nicht entscheidend. Ein großartiges Buch ist es trotzdem. 

Nicht so sehr gefallen hat mir die Sprecherin. Auch wenn die herbe Stimme gut passt und Hannelore Hoger sogar mit dem plattdeutschen Dialekt zurechtkommt, liest sie doch recht stockend, macht viele Pausen an ungünstigen Stellen. Jemand mit mehr Elan hätte es besser geschafft, den Witz und die Spitzfindigkeit dieses Textes zu transportieren. Ich denke, ich werde mir noch das Buch kaufen. So etwas muss im Regal stehen, das liest man auch noch einmal. 

Kommentare

wandagreen kommentierte am 04. Dezember 2018 um 18:44

Oh, ein Buch, das man kauft, nachdem man den Text schon kennt, ist etwas Besonderes!