Rezension

Origineller Abenteuer- und Fantasyroman vor grandioser Kulisse

Der Hof der Wunder - Kester Grant

Der Hof der Wunder
von Kester Grant

Bewertet mit 3.5 Sternen

INHALT
In einem alternativen Paris des Jahres 1828 ist die Französische Revolution fehlgeschlagen.
Skrupellose Aristokraten teilen sich die Stadt mit kriminellen Gilden, die die Unterwelt regieren. Inmitten dieses brüchigen Friedens versuchen die Diebin Nina und ihre Adoptivschwester Ettie sich gegen Kaplan zur Wehr zu setzen, dem Obersten der Gilde für Menschenhandel und Prostitution.
Nina und Ettie bleibt nichts anderes übrig, als sich den verfeindeten Gilden anzuschließen und bis zur großen Zusammenkunft, dem legendären Hof der Wunder, zu überleben.
Aber als Kaplan den beiden auf die Schliche kommt, droht in ganz Paris ein Krieg auszubrechen ...
(Quelle: Piper Verlag)

MEINE MEINUNG
Das sehr einfallsreiche Debüt „Der Hof der Wunder“ aus der Feder der britisch-mauritischen Autorin Kester Grant ist eine faszinierende Mischung aus historischem Abenteuer- und Fantasyroman, bei dem die fantastisch-magischen Elemente sich auf das Übernatürliche beschränken. Grants Ausgangsidee ist wirklich sehr originell und vielversprechend, doch leider hapert es dann doch etwas bei der Umsetzung ihrer hochkomplexen Geschichte.
Angesiedelt ist die Handlung im Paris des 19. Jahrhunderts, jedoch werden wir in eine alternative historische Realität hinein katapultiert. Die Französische Revolution, die das feudal-absolutistische Frankreich Ende des 18. Jahrhunderts in einen von den Grundwerten der Aufklärung getragenen liberalen Verfassungsstaat überführen und in dem das einfache Volk das Sagen haben sollte, ist nämlich gescheitert. Nach wie vor sind Adel und Klerus an der Macht, und die verarmte, hungernde Pariser Bevölkerung wird von skrupellosen Adligen und kriminellen Gilden in Schach gehalten.
Von gleich zwei großen literarischen Werken hat sich die Autorin inspirieren lassen und ihre Adaptation der beiden Klassiker ist wirklich sehr originell. So finden sich in „Der Hof der Wunder“ zum einen zahlreiche Referenzen aus Victor Hugos Klassiker „Les Misérables“ und zum anderen aus „Das Dschungelbuch“ - einer Sammlung von Erzählungen und Gedichten des britischen Autors Rudyard Kipling. Hierbei hat sich die Autorin aus „Les Misérables“ vor allem ihre Figuren wie beispielsweise der skrupellose Thénardier, als Vater von Azelma und Cosette (als Ettie) entliehen. Auch Nina als abgewandelte Éponine, der Verbrecher Jean Valjean und sein erbitterter Jäger Javert oder der kleine Gavroche tauchen in der Geschichte in modifizierten Rollen auf. Spannend finde ich auch den Bezug zum Dschungelbuch, bei dem die kriminelle Pariser Unterwelt zu einem gnadenlosen Großstadtdschungel mit Gildenstruktur wird, wo sich allerhand vermenschlichte Tierwesen aus dem Dschungelbuch tummeln. Die verfeindeten Gildenherren wie der Tiger oder der Bär kommen im „Hof der Wunder“an der Hohen Tafel zusammen, um selbstherrlich über die Geschicke der ums Überleben kämpfenden Bevölkerung und ihrer Gilde zu bestimmen.
Dank des wundervoll bildhaften, mitreißenden Schreibstils der Autorin taucht man schon bald an Ninas Seite in einen befremdlichen, gewalttätigen Moloch ein, lernt die Gilden und ihre erbitterten Feinde kennen, spürt hautnah das Elend in den Gassen und den allgegenwärtigen Tod. Im Paris jener Tage herrscht eine unüberschaubare, grausame und brutale Welt, geprägt von Machtgier, Verrat, Verbrechen und eiskaltem Taktieren. Deutlich merkt man, dass sich die Situation für die hungerleidenden Unterdrückten zuspitzt und alles auf eine politische Revolte hinausläuft.
Es ist gar nicht so einfach, sich in dieser bildgewaltigen, düsteren Kulisse und der hochkomplexen Hintergrundgeschichte rund um die Gilden und Tagwandler, ihren Gesetzen, Feindschaften und Verstrickungen zurecht zu finden, denn Grant treibt ihre actionreiche Geschichte mit hohem Tempo voran. Zudem haben mir manchmal wichtige Details zum Verständnis gefehlt. Erzählt werden die Geschehnisse aus der Ich-Perspektive der Heldin und Protagonistin Nina, die nach ihrer Aufnahme in die Gilde der Diebe als Schwarze Katze eine ganz persönliche Agenda verfolgt, um ihre Schwestern vor Kaplan, dem skrupellosen Herrn des Fleisches zu schützen. Verbündete muss sie sich suchen und riskante Allianzen schmieden um ihren nahezu unmöglichen Plan zu realisieren. Leider bleib mir Nina lange Zeit sehr fremd, wirkte sie doch sehr distanziert und unnahbar auf mich. Durch abrupte Zeitsprünge ist es zudem schwer, Ninas persönliche Entwicklung, ihre Motive und die Hintergründe ihres Rachefeldzugs nachzuvollziehen. Schade, dass die Autorin nicht etwas mehr Augenmerk auf das Innenleben und die charakterliche Reifung ihrer Hauptfigur gelegt hat. Ninas Verhalten wirkte oft sehr planlos und sprunghaft auf mich, so dass es lange gedauert hat, bis ich mit ihr warm geworden bin. Ihre fast übermenschlichen Fähigkeiten und ihre Stärke erschienen mir insgesamt doch etwas zu übertrieben. Leider sind auch viele interessante Nebenfiguren nur recht oberflächlich ausgearbeitet, so dass man ihre Beweggründe und ihr Handeln nur schwer verstehen kann.
Nach einigen unvorhersehbaren Wendungen gipfelt die Geschichte in einem fesselnden Showdown und findet einen zufrieden stellenden Abschluss. Ich bin gespannt, wann Grant eine Fortsetzung ihrer geplanten Trilogie verfassen wird! Potential für weitere Geschichten hat ihre komplexe Welt auf jeden Fall noch!

FAZIT
Ein originelles, unterhaltsames Debüt mit einer faszinierenden Mischung aus historischem Abenteuer- und Fantasyroman. Die Umsetzung der vielversprechenden, hochkomplexen Geschichte und die Charakterzeichnung konnten mich allerdings nicht ganz überzeugen!