Rezension

Packender Thriller

Der Insasse - Sebastian Fitzek

Der Insasse
von Sebastian Fitzek

Bewertet mit 4 Sternen

Inhalt 
Die Geschichte hat schon allein vom Plot her für Schlagzeilen und vielleicht auch Spannung gesorgt. Wir lernen Til kennen, der sich als so genannter V-Patient in die forensische Abteilung einer Psychiatrie einschleusen lässt, mit dem Ziel, dem mutmaßlichen Entführer seines Sohnes zu entlocken, ob sein Sohn noch lebt bzw. wo er zu finden ist. Kritische Stimmen gaben vor Erscheinen des Titels zu bedenken, dass man sich ja nicht einfach so in eine Psychiatrie einweisen lassen könne und schon gar nicht in die forensische Abteilung, in der nämlich Straftäter sind, die eine psychische Erkrankung haben.

Zudem rechnete ich auch damit, dass in diesem Psychothriller viele Charaktere mit einer psychischen Erkrankung beschrieben werden und ich hoffte daher wirklich, dass es kein Fettnapf-Thriller wird. 

Allerdings kann ich euch an dieser Stelle beruhigen: Der Grund der Einweisung wird realistisch dargestellt und ergibt, bezogen auf die Geschichte, Sinn. 

Was mir bei Der Insasse aber recht schnell negativ auffiel, war der hohe Anteil an psychischer und körperlicher Gewalt. Natürlich bringt es das Psychothriller-Genre mit sich, mit den Ängsten der Leser*innen zu spielen. Allerdings wurde hier beispielsweise beschrieben, wie Til verprügelt wird. Und zwar nicht so, dass die eigentliche Handlung im eigenen Kopfkino stattfindet.

Psychische Gewalt bzw. Druck wird hier vor allem von einem Arzt ausgeübt. Das fand ich ebenfalls einen gruseligen Nebenhandlungsstrang. Ich fragte mich, warum der Anteil von psychischer und körperlicher Gewalt ausgerechnet in diesem Hörbuch so hoch war. Schließlich kamen die anderen Romane von Sebastian Fitzek - zumindest meiner Meinung nach - sehr gut ohne Szenen mit viel Gewalt aus. Die Gewaltszenen sorgten bei mir eher dafür, dass ich viele Stellen im Hörbuch vorgespult habe, was ich sonst wirklich nicht mache. 

Der Plot an sich - die Gewalt mal ausgeklammert - reichte für mich völlig aus, um einen guten Spannungsbogen aufzubauen. Til ist ein interessanter Charakter, bei dem wir gleich am Anfang von Der Insasse erfahren, dass er wohl häufiger impulsiv handelt. Wir können also erahnen, dass ihm dieses Handeln eines Tages zum Verhängnis werden könnte. 

In bisherigen Romanen von Sebastian Fitzek bekamen die Protagonisten häufig Nebencharaktere an die Seite, die ihnen helfen sollten, die Geschichte aufzulösen. Hier hingegen lernen wir zwar Nebencharaktere kennen, allerdings spielen diese nicht wirklich gemeinsam mit Til in einem Team, sondern legen es entweder darauf an, ihm sein Vorhaben zu erschweren, oder interessieren sich gar nicht groß für ihn. 

Was die Psychothriller von Sebastian Fitzek aus meiner Sicht ausmachen, ist die Verstrickung der Handlungsstränge: Wir lernen zu Beginn der Geschichte einen Protagonisten kennen, der entweder schon mitten im Problem steckt, oder relativ schnell mit dem Problem der Geschichte konfrontiert wird. Wir erleben, wie er versucht Lösungsstrategien zu entwickeln und kommen - egal mit welchem Protagonisten - immer wieder an dem Punkt, in dem die Lage des Protagonisten aussichtslos erscheint und wir uns deswegen fragen, wie er da wohl wieder rauskommen soll. Schließlich sind an diesem Punkt meistens nicht mehr viele Seiten oder - auf das Hörbuch bezogen - Minuten übrig, die unseren Protagonisten aus unserer Sicht retten können. Und dann schafft es der Autor innerhalb einer kurzen Zeit die Handlungsstränge wieder aufzulösen. Und zwar nicht so, dass wir uns verzweifelt fragen, wie das denn jetzt alles zusammengehört, sondern so, dass wir ein großes Ah! in unserem Gehirn aufleuchten sehen und die Geschichte am liebten nochmal hören würden, um die Hinweise früher verstehen zu können.

Genau so ging es mir bei Der Insasse. Während des Hörens war ich wirklich verzweifelt, weil mir bei diesem Thriller Elemente aufgefallen sind, die mich wirklich abschreckten. Und als ich dann von der Auflösung erfahren habe, ergaben ein paar Dinge plötzlich Sinn und ich war erleichtert, dass ich mich geirrt hatte. 

Was mich an Sebastian Fitzeks Schreibstil diesmal störte, war der hohe Anteil an Gewalt, den es für mich wirklich nicht gebraucht hätte. Beeindruckt bin ich aber wieder davon, dass er es geschafft hat, mich in mehrerer Hinsicht auf eine falsche Fährte zu locken. Wie in den bisherigen Romanen des Autors, gibt es auch hier wieder interessante und teils auch amüsante Dialoge, die mich gut unterhalten haben. 

Kommen wir nun zur Gestaltung des Hörbuches: Inzwischen erscheinen die Titel von Sebastian Fitzek nicht mehr bei Bastei Lübbe Audio, sondern im Argon Verlag, der zur selben Unternehmensgruppe gehört, wie Droemer Knaur. Leider hat audible nach wie vor die Rechte an den ungekürzten Hörbüchern. Gerade bei Titeln von Sebastian Fitzek finde ich es unglaublich wichtig, diese ungekürzt zu hören, weil es Momente braucht, in denen wir gemeinsam mit den Protagonisten für kurze Zeit zur Ruhe kommen und über die Möglichkeiten nachdenken können, die zur Verfügung stehen, um das Problem des Protagonisten zu lösen.

Das Schöne für mich war, dass es ein Wiederhören mit Simon Jäger gibt. Er ist quasi die Hörbuchstimme von Sebastian Fitzek und ich mag die Art, wie er die Hörbücher des Autors interpretiert. Was mir hier das erste Mal aufgefallen ist: Ich fand es beeindruckend zu hören, wie Simon Jäger seine Stimme auf Knopfdruck ändern und z.B. von normal plötzlich nasal klingen kann. 

Zusammenfassend kann ich sagen, dass mir Der Insasse an sich gut gefallen hat. Zu Beginn war ich aufgrund der Psychiatrie- und der Kindesmissbrauchsthematik wieder sehr abgeschreckt. Jedoch bekommen diese Aspekte, sobald die Geschichte aufgelöst ist, eine neue Wendung. 
Allerdings wäre ich froh, wenn der nächste Thriller des Autors wieder mit etwas weniger Gewalt auskommt. 

Viele Buchblogger*innen sprechen bei kritischen Themen eine Art Triggerwarnung aus. Ich tue mich mit diesem Begriff etwas schwer, weil ich den Eindruck habe, dass er häufig falsch eingesetzt wird. Deswegen will ich an dieser Stelle einfach anmerken, dass ich Der Insasse nur denjenigen empfehlen kann, die psychisch stabil sind und keine Psychiatrieerfahrung haben.