Rezension

Panorama einer Kleinstadt...

Der Sprung
von Simone Lappert

Bewertet mit 3.5 Sternen

Dienstagmorgen in einer mittelgroßen Stadt. Manu, eine junge Frau in Gärtnerkleidung, steht auf dem Dach eines Mietshauses. Sie brüllt, tobt, wirft Gegenstände hinunter, vor die Füße der zahlreichen Schaulustigen, der Presse, der Feuerwehr. Die Polizei geht von einem Suizidversuch aus. Einen Tag und eine Nacht lang hält die Stadt den Atem an. Für Finn, den Fahrradkurier, der sich erst vor kurzem in Manu verliebt hat, bleibt die Zeit stehen. Genau wie für ihre Schwester Astrid, die mitten im Wahlkampf steckt. Den Polizisten Felix, der Manu vom Dach holen soll. Die Schneiderin Maren, die nicht mehr in ihre Wohnung zurückkann. Für sie und sechs andere Menschen, deren Lebenslinien sich mit der von Manu kreuzen, ist danach nichts mehr wie zuvor.

Etwas ratlos lässt mich dieser Roman zurück - der zweite aus der Feder von Simone Lappert, ihr erster unter dem Dach des Diogenes Verlag. Ist dies wirklich ein Roman?

Eigentlich mutet 'Der Sprung' fast wie eine Kurzgeschichtensammlung an, da hier laufend nach wenigen Seiten der nächste Charakter im Fokus steht, der kurz beleuchtet wird, dann wieder im Dunkeln verschwindet, um irgendwann später erneut einige Seiten lang aufzutauchen. Dabei steht die junge Frau auf dem Dach, von der - alleine schon durch den verräterischen Klappentext - von vornherein bekannt ist, dass sie letztendlich tatsächlich springen wird, erstaunlicherweise überhaupt nicht im Brennpunkt. Der Leser lernt die junge Frau nur am Rande kennen, kommt hinsichtlich des Motivs für ihren Sprung nicht über das Stadium des Spekulierens hinaus und wendet sich schließlich mit einem Achselzucken von ihr ab.

Mehr Interesse zeigte Simone Lappert (die übrigens verwandt ist mit Rolf Lappert, dessen Roman 'Nach Hause schwimmen' 2008 auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises stand) an den Figuren drumherum. Die Geschehnisse rund um diese junge Frau auf dem Dach verändert das tägliche Einerlei dieser Personen, führt zu Veränderungen, die teilweise nur von kurzer Dauer sind, z.T. aber auch dem Leben eine deutliche Wendung geben.

Leider fühlte ich mich letztlich etwas erschlagen von dem großzügig bemessenen Personenregister. Wenn jemand längere Zeit nicht auftauchte, vergaß ich ihn gar und wunderte mich dann über sein Wiedererscheinen. Durch die jeweils nur kurze Beleuchtung der einzelnen Charaktere wurde zwar deutlich, dass jeder sein Päckchen zu tragen hat und womöglich teilweise auch eher einen Grund hätte, oben auf dem Dach zu stehen, aber sein Schicksal blieb mir doch weitestgehend gleichgültig.

Dabei gefiel mir der Schreibstil von Simone Lappert über weite Strecken wirklich gut. Die Autorin erweist sich als sorgfältige Beobachterin, was sie in einer unaufdringlichen Sprache mit detailgetreuen Bildern niederlegt und in der alle Sinne zur Geltung kommen. Einzelne Passagen erscheinen poetisch, teilweise fast schon philosophisch angehaucht.

Auch wenn es Simone Lappert gelingt, im Laufe der Erzählung die Verbindungen zwischen den einzelnen Charakteren aufzuzeigen, bleiben diese insgesamt doch recht lose. Durch die Vielzahl der Personen erscheint die Handlung zerfasert und bleibt zumeist auch sehr an der Oberfläche. Ähnlch wie bei Nachrichtensendungen geht eins ins nächste über, und das Schicksal des Einzelnen taucht gleich wieder ins Dunkle, berührte mich damit zumeist auch nicht wirklich. Wenn alle irgendwie mit schrecklichen Vergangenheiten oder gegenwärtigen Situationen zu kämpfen haben, so ist das in der Summe einfach zu viel, und das Abstumpfen schlägt gleich wieder zu...

Weniger ist mehr - in diesem Fall stimmt der so gern zitierte Spruch wieder einmal. Weniger Charaktere, die dafür ausdrücklicher beleuchtet worden wären, hätten mich hier jedenfalls mehr überzeugt. Schade.
 

© Parden