Rezension

Penibel recherchiert und opulent erzählt

Das Geheimnis der Glasmacherin -

Das Geheimnis der Glasmacherin
von Tracy Chevalier

Bewertet mit 5 Sternen

Die US-amerikanische Autorin Tracy Chavelier hat mit „Das Geheinis der Glasmacherin“ einen ganz besonderen historischen Roman verfasst.

 

Man schreibt das Jahr 1468. Die Glasbläserfamilien auf Murano hüten die Geheimnisse um die Herstellung des kostbaren Glases wie ihre Augäpfel. Die achtjährige Orsola Rosso soll bei der bekannten Glasbläserfamlie Barovier spionieren, was dort gerade erzeugt wird.

 

Wenig später kommt Lorenzo Rosso, einer der Glasvirtuosen, durch ein Unglück bei der Herstellung eines Kandelaber ums Leben. Zwar gibt es mit Marco einen Sohn, der die Familientradition weiterführen soll. Doch der ist ein Hitzkopf und bei weitem nicht so begabt wie sein Vater oder der Obergeselle Paolo.

 

Obwohl Lorenzos Witwe Laura versucht, den Niedergang aufzuhalten, treibt die Manufaktur langsam aber sicher auf ihren Ruin zu. Da greift Tochter Orsola, neben allen Aufgaben des Haushalts, zu einem Strohhalm: Sie holt sich Rat bei der gefürchteten Maria Barovier, lässt sich das Perlendrehen zeigen und beginnt heimlich in der Nacht mit der Erzeugung von Glasperlen in der Küche. Denn gemäß den strengen Regeln der Glasmacherkunst, ist es den Frauen verboten, an den Glasöfen zu arbeiten. Die Anfertigung von Glasperlen, abfällig „escrementi di topo“ bzw. „escrementi di coiglio“ (also Mäuse- bzw. Kaninchenköttel) genannt, mittels eines Tranbrenners, wird gerade noch geduldet, denn die Männergesellschaft nimmt diese Glasperlen nicht ernst. Damit kann sie die Unterhalt der Familie garantieren und die Werkstatt bis in die Gegenwart erhalten.

 

Wie eng die Regeln der Glasmacherkunst ausgelegt werden, ist daran zu erkennen, dass es nur sehr selten gelingt, Männern, die nicht aus Glasmacherfamilen stammen, eine Ausbildung auf Murano zu erhalten. Eine solche Ausnahme ist Antonio, der sich in den Kopf gesetzt hat, Glasmacher zu werden, obwohl seine Familie seit Generationen Fischer waren. Dass ihm Orsola den Kopf verdreht hat, spielt natürlich auch eine Rolle. Als Antonio bessere Entwürfe als Marco erzeugt, kommt es zum Streit und Antonio verlässt heimlich Murano, denn auf das Verlassen der Insel steht die Todesstrafe. Es könnte ja das Geheimnis um die Herstellung des Glases verraten werden und damit unliebsame Konkurrenz erzeugt werden.

 

Meine Meinung:

 

Bereits das Cover des Buches mit dem kunstvoll gestalteten Farbschnitt stimmt den Leser auf die Geschichte ein. Die Farben lehnen sich an die Glasstäbe an, mit denen die Glasmacher gearbeitet haben. Das Buch entführt einerseits nach Murano, wo das Monopol der Glasmacherkunst beheimatet war.

 

Dieser historische Roman bedienst sich einer interessanten Erzählform, denn er spannt den Bogen von Mitte des 15. Jahrhunderts bis in die Gegenwart. Was daran so bedeutsam sein soll? Tracy Chevalier lässt die Zeit in Murano viel langsamer vergehen. Während im nur wenige Kilometer entfernten Venedig die Jahre wie im Flug vergehen und wir Persönlichkeiten wie Giacomo Casanova und Kaiserin Joséphine, die Pest, die Besetzung Venedigs durch Napoleon, später durch die Habsburger, die Einigung Italiens, die beiden Weltkriege sowie die Corona-Epidemie erleben, bleibt in Murano (fast) alles beim Alten.

 

Diese politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen rund um Venedig sind eindringlich beschrieben. Spannend war auch das Verhältnis der Insulaner zum Festland. Die Autorin hat viele geschichtliche Details in dieser spannenden Familiengeschichte versteckt. Dadurch bleibt die Geschichte durchwegs interessant und entwickelt eine Sogwirkung, der man sich kaum entziehen kann.

 

Welches Geheimnis die Glasmacherin umgibt und welche Rolle Glasdelfine dabei spielen, müsst ihr selbst lesen.

 

Mir hat der Einblick in die Glasmacherkunst sehr gut gefallen. Ich habe anlässlich eines Besuches in einer der letzten Glashütten in Neunagelberg in Niederösterreich selbst eine Glaskugel blasen dürfen. Eine interessante Erfahrung.

 

Tracy Chevalier, deren wohl bekanntestes Werk „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“ ist, ist abermals ein opulenter historischer Roman gelungen.

 

Neben einem geschichtlichen Überblick enthält das Buch noch ein Glossar über die wichtigsten italienischen und venezianischen Begriffe und Redewendungen, die in der Geschichte vorkommen. Ich konnte mein Arsenal an Schimpfwörtern um einige neue ergänzen, herrlich.

 

Fazit:

 

Gerne gebe ich diesem historischen Roman, der penibel recherchiert und opulent erzählt ist und uns in die Welt der Glasmacherkunst entführt, 5 Sterne.