Rezension

Pfaueninsel: Fakten und Fiktion

Pfaueninsel - Thomas Hettche

Pfaueninsel
von Thomas Hettche

Fakten: Auf der Pfaueninsel in Berlin ließ Friedrich Wilhelm II. ein Schloss für seine Mätresse bauen; die Insel wurde als Rückzugsort gestaltet. Sein Sohn ließ die Insel von einem Gartenbaumeister umgestalten; viele Gebäude kamen hinzu, so auch eine Menagerie. Zusätzlich zu den exotischen Tieren wurden auch Menschen dort "gehalten": Ein kleinwüchsiges Geschwisterpaar - Zwerge, ein Riese, ein Afrikaner, ein Südseeinsulaner. Menschen, Tiere, Pflanzen: Alles künstlich angeordnet wie ein Kuriositätenkabinett.

Fiktion: Eine Kuriosität ist auch Marie, die Zwergin, die als "Schlossfräulein" zwar auf dem Papier Einfluss hat, doch nur als Dekoration zur Unterhaltung der Herrschaften dient. Dabei ist sie für manche nicht nur ein Naturwunder, das staunend beäugt wird, sondern auch eine Monströsität. Dabei möchte doch auch sie als Mensch gesehen werden, möchte geliebt werden und ein erfülltes Leben führen. 

Thomas Hettche erzählt von Maries Leben und lässt durch sie das 19. Jahrhundert vor unseren Augen auferstehen. Doch es ist nicht das Alltagsleben, sondern eben das künstlich arrangierte, der Ersatz. Und so kann auch Marie nicht ihre eigenen Vorstellungen ausleben, ihre Gefühle nicht aussprechen, ihre Wünsche nicht verfolgen. Es gibt einige wenige Schlüsselszenen, die den Fortlauf der Geschichte bestimmen; dazwischen "vergeht die Zeit". Gut recherchiert und belegt sind die Veränderungen bei den Gebäuden, den Tieren und Pflanzen - bei den Menschen kann Hettche nur auf Aufzeichnungen über Geburten und Todesfälle zurückgreifen, auf Arbeitsentwürfe, Erfolgs- und Misserfolgsberichte und Abrechnungen. Die Gefühle sind nicht dokumentiert. Und so malt auch Hettche sie nicht aus, sondern deutet nur an. Fehlt es ihm hier an Vorstellungsvermögen, will er dem Leser die Führung überlassen oder soll die Blässe der Gefühle die Künstlichkeit der Umwelt widerspiegeln? Ich weiß nicht, ob diese Wohlgeordnetheit und das Einfügen der Menschen in die Gegebenheiten wie die Blumen in eine Rabatte künstlerische Absicht ist; ich hätte jedenfalls lieber etwas mehr mit Marie mitgefühlt. So fand ich das Buch interessant zu lesen, jedoch zu wenig bewegend.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 15. Mai 2020 um 19:44

Kommt halt auf den Leser an. Ich habe sehr mitgefühlt. Ich war traurig, empört, entsetzt, habe bewundert und gelitten.