Rezension

Pflichtlektüre für Interessierte

Jack the Ripper - Hendrik Püstow, Thomas Schachner

Jack the Ripper
von Hendrik Püstow Thomas Schachner

Bewertet mit 5 Sternen

»Den Anblick, der sich uns bot, werde ich nie vergessen. Es sah vielmehr aus wie das Werk eines Teufels als das eines Menschen.«

Wenige Verbrechen haben es geschafft, so ins kollektive Gedächtnis zu gelangen, wie die Mordserie, die im Herbst 1888 das Londoner Armenviertel Whitechapel in Angst und Schrecken versetzte. Der Ripper, wie er bald genannt wurde, war nicht der erste Serienmörder und andere Serien forderten sogar noch weitaus mehr Opfer, doch der Ripper war der erste, der es zu weltweiter Bekanntheit schaffte. Die Grausamkeit der Taten löste das aus, was man gern als „Faszination des Schreckens“ bezeichnet und das abrupte Ende der Serie und die Tatsache, dass der Täter nicht ermittelt werden konnte, hält die Faszination bis heute wach. Die offiziellen Untersuchungen der Londoner Polizei endeten im Jahr 1892, aber immer noch versuchen Hobby- und Profifahnder (sogenannte Ripperologen) die Identität des Mörders herauszufinden.

 

Dieses Buch trägt alles zusammen, was es an Forschungsergebnissen gibt. Ziel ist, laut der Autoren, »einen wertfreien und nüchternen Rückblick auf die damaligen Ereignisse zu geben, ohne dass versucht wird, krampfhaft eine Theorie zu einem speziellen Verdächtigen zu untermauern.« Tatsächlich gibt es reichlich Literatur (teils sehr abenteuerlich), die gezielt potentielle Täter präsentiert und mit der angeblichen Aufklärung lockt. Das geschieht hier nicht.

 

Den Leser erwartet eine detaillierte Darstellung der Mordserie, die fast komplett auf der Basis von historischen Polizeidokumenten und Zeitungsartikeln rekonstruiert wurde. Dabei wird für das Verständnis des historischen Hintergrunds das Leben im Armenviertel beschrieben, das hier als „Schmelztiegel gescheiterter Existenzen“ bezeichnet wird. Wer sich schon mal gefragt hat, warum immer wieder Frauen mitten in der Nacht allein durch die Gegend liefen, obwohl sie sich der Gefahr genau bewusst waren, erhält hier Antworten. Natürlich werden die Mordopfer vorgestellt, die Schilderung der Taten selbst aber fehlt – wir haben es schließlich nicht mit einem Thriller zu tun und Zeugen für die Morde gab es (soweit man weiß) keine. Trotzdem wird es sehr blutig und schaurig, dafür sorgen Polizei- und Autopsieberichte. Auch einige der Fotos kann man trotz ihres Alters und der schwarzweißkörnigen Undeutlichkeit nur als schockierend bezeichnen.

 

Im Anschluss werden dann die zwanzig wichtigsten Verdächtigen ausführlich vorgestellt. Es musste natürlich eine Vorauswahl getroffen werden, denn die Liste umfasst mittlerweile über 150 Namen. Die Autoren beschränkten sich daher auf die „allgemein anerkannten heißesten Kandidaten“. Der Leser erfährt, was man zu ihren persönlichen Daten ermitteln konnte, er erhält Auskunft zu den möglichen Motiven, Tathintergründen und zu vorhandenen Untersuchungsergebnissen (Spurenauswertung). All diese Daten werden jeweils abschließend in einer Pro & Contra Auflistung gegenübergestellt. In der Summe ergibt das eine recht nüchterne Betrachtung, nur gelegentlich fließen persönliche Meinungen der Autoren ein und man ist als Leser in der Lage, sich selbst eine Meinung zu Schuld oder Unschuld zu bilden.

 

Eine nüchterne Betrachtung wird auch den berühmten Briefen zuteil. „From Hell“ oder nur Fake? Was man weiß, wird detailliert zusammengetragen, einschließlich Fotos und Texten. Interessant fand ich auch die Vorstellung der „Themse-Torso-Morde“, einer weiteren ungelösten Mordserie, die London zwischen 1887 und 1889 beschäftigte. Ist ein Zusammenhang möglich? Und wie viele Morde hat der Ripper nun eigentlich begangen? „Nur“ die „Kanonischen Fünf“, auf die sich die Forschung heute meist beschränkt, oder waren es doch mehr? Zu diesen potentiellen Opfern finden sich ebenfalls Informationen. Fotos, Illustrationen, Tatortskizzen und eine Übersichtskarte von Whitechapel ergänzen alles perfekt.

 

Das Buch erschien erstmals 2006. In meine Ausgabe (Update 2017) wurden die neuesten Ergebnisse der Forschung eingearbeitet. Tatsächlich hat es wohl in den letzten 25 Jahren diverse neue Infos zu den Morden gegeben. Immer wieder tauchen lang verschollene Unterlagen auf, im Jahr 1987 z.B. der Autopsiebericht von Mary Kelly. Zwei wichtige Quellen sind bis heute verschwunden. Sollten sie mal auf irgendeinem Dachboden in irgendeinem Nachlass gefunden werden, würden sich auf der ganzen Welt Ripperologen begeistert in die Arbeit stürzen.

 

Fazit: Alle Forschungsergebnisse rund um den Ripper zusammengetragen, detailliert und nüchtern beschrieben. Pflichtlektüre für Interessierte.