Rezension

Politisch-historisches ‚Waswärewenn‘

Der Platz an der Sonne - Christian Torkler

Der Platz an der Sonne
von Christian Torkler

Bewertet mit 3 Sternen

Christian Torkler hat einen Roman geschrieben, der eine etwas alternative Geschichte Europas entwirft: Nach dem zweiten Weltkrieg gab es noch einen dritten, der zur Folge hatte, dass das, was wir heute als Bundesrepublik Deutschland kennen, in vier Staaten unterteilt wurde. Protagonist Josua erlebt im Berlin der Neuen Preußischen Republik Unterdrückung, Armut, gefälschte Wahlen, Amtswillkür, Erpressung und schwere Schicksalsschläge. Den Mitgliedsstaaten der Afrikanischen Union hingegen geht es gut, sie sind reich und richten ihr Gutmenschentun (gesponsorte Kirchen, Wahlbeobachter, etc.) gen Europa. Josua glaubt trotz allem, sich ein kleines, glückliches Leben aufbauen zu können, er heiratet, wird Vater und dank einer glücklichen Fügung des Schicksals gelingt es ihm tatsächlich, eine Bar zu eröffnen. Doch er verliert alles und in einer schier ausweglosen Situation sieht er nur noch eine Möglichkeit: Die Flucht gen Süden – auf der Suche nach einem Platz an der Sonne. Und so beginnt Josuas Flucht. 

Auseinandersetzungen mit Bürokraten, Schleppern, Soldaten, Mafiosi, Sklavenhändlern und generell den hässlichsten Seiten der Menschlichkeit, lassen den Leser ein gewisses Gefühl für die Strapazen und Unsicherheiten einer tatsächlichen Flucht quer über Landesgrenzen entwickeln. Man hat den Eindruck, Torkler wollte hier bewusst eine konträre Geschichte zur aktuellen politischen Lage entwerfen, um dem Leser vor Augen zu führen, wie gut es das Schicksal mit uns gemeint hat. Generell gelingt es ihm, vor allem durch die Ausgestaltung des Romanendes, gut, die Dramatik der Flucht einzufangen, doch fehlt es dem Roman an inneren Einsichten der Romanfigur. Dadurch hätte der Autor Verzweiflung und Rückschläge sehr viel besser transportieren können und seinen Roman nachfühlbarer gemacht. Vor allem im ersten Teil des Buches, bei der emotionalen Vorbereitung des Protagonisten auf die Flucht, ist das ein großes Defizit, denn der Leser kann nicht mit Josua mitfühlen und so erscheint seine Flucht unmotiviert, obwohl sie es gar nicht ist. 

Torklers Weltenentwurf ist durchdacht, wird dem Leser aber nicht früh genug und dann auch ‚mit dem Holzhammer‘ vermittelt – nicht gerade elegant. Seine männlichen Charaktere sind interessant und sympathisch, da Torkler es aber komplett verweigert, mehr als oberflächliche Gedanken aus ihrem Innenleben preiszugeben, kann man sie nie wirklich kennenlernen und keine tiefe Sympathie für sie entwickeln, was der Story einen sehr nüchternen Unterton verleiht. Weibliche Charaktere sind leider nur als Stereotypen vorhanden, austauschbar und für die Story unbedeutend. 

Torkler hat ein gutes Händchen für’s Timing (nicht im Buch, sondern mit der Veröffentlichung) und seine Geschichte ist individuell genug, um nicht als 1:1-Umkehrung der tatsächlichen Verhältnisse angesehen zu werden, dennoch ist sie in meinen Augen trotzdem eher als ‚Trend‘ einzustufen. Es ist gut und wichtig, dass sich der europäische Leser von Zeit zu Zeit mit einem ‚Waswärewenn‘ auseinandersetzt, und das tut er mit Torklers Werk auch, doch vermögen das an die tatsächliche Geschichte angelehnte Berichte aus den Kriegs- und Nachkriegsjahren teilweise sehr viel eindringlicher.