Rezension

Politischer Roman oder bitterböse Realsatire? Dystopisch? Essayistisch?

Hochdeutschland - Alexander Schimmelbusch

Hochdeutschland
von Alexander Schimmelbusch

Bewertet mit 4 Sternen

Ein Roman ist dieses Buch in meinen Augen nicht; was eine Lektorin im Buch in einem anderen Zusammenhang sagt, passt perfekt, dass nämlich 'der beachtliche Stilwille eine eklatante Plotarmut verschleiern soll' (193). Aber wahrscheinlich muss man politischen Sprengstoff in einen Roman verpacken, um überhaupt solche Ideen äußern zu können, ohne niedergemacht zu werden.

Zuerst dreht sich alles um die bösen und zynischen Gedanken des 39-jährigen Investmentbankers und Multimillionärs Victor, die reichlich verschwurbelt und mit Denglish durchsetzt daherkommen, z.B. "… um einer urbanen Kundschaft in lifestyligen Selbstbedienungskantinen Italo-Food made in Germany zu servieren." (47)

Victor lebt alleine, ist anscheinend beziehungsunfähig außer im Umgang mit seiner kleinen Tochter, die er abgöttisch liebt und alle paar Wochen gründlich verwöhnt. Hier zeigt sich, dass die Sprache vom Autor sehr geschickt passend zu den Figuren gewählt wurde. Die Tochter spricht ganz anders als Victor in seinen Gedanken oder als Victor im Umgang mit einem alten türkischstämmigen Freund.

Überhaupt scheint sich der große Manipulator Victor immer ganz auf sein Gegenüber einzustellen, um etwas Bestimmtes zu erreichen. Er sagt selbst, dass er schon seit der Kindheit Rollen spielt, hinter denen sich der wahre Victor verbirgt. Ob es den aber gibt, ist für mich fraglich, so widersprüchlich, wie er daher kommt.

Einerseits sieht er vieles zu Recht kritisch, er beobachtet genau und übt messerscharfe Gesellschaftskritik, andererseits mischt er selber in diesem System mit, ist ein Teil davon und trägt mit dazu bei, dass es funktioniert.

Einerseits kritisiert er die Menschen verachtenden Arbeitsbedingungen in einer italienischen Fastfood-Restaurantkette, andererseits saugt er seine Mitarbeiter bis zum letzten aus und nennt sie zynisch 'Häftlinge' (27) oder 'Galeerensklaven' (32).

Das Herzstück des Buches ist eine Art politisches Manifest, von Victor in Windeseile und eher aus Langeweile geschrieben, wie er überhaupt an einer Art Lebensüberdruss zu leiden scheint. Allerdings führen diese Forderungen – allen voran die, dass es eine Vermögensobergrenze geben muss – zu unerwarteten Ergebnissen.

Dieses Manifest muss man zwei-/dreimal lesen. Nickt man noch beim ersten Lesen bei vielen Dingen zustimmend, schleicht sich bei näherem Hingucken der Gedanke ein, dass vieles fehlt, einiges unausgegoren und sogar undemokratisches Gedankengut enthalten ist. Aber eines schafft dieser Text: dass man sich als Leser Gedanken macht. Solche Anregungen erwarte ich von einem Buch, das bis dahin keinen nennenswerten Plot aufzuweisen hat.

Und als ob der Autor den Einwand der Leser vernommen hätte, geht am Ende des Buches die galoppierende Phantasie mit ihm durch und er dreht richtig auf. Meiner Meinung verpuffen die guten Gedankenanstöße in einem Feuerwerk abstruser Vorkommnisse. Schade und deshalb 'nur' 4 Sterne.

Lesenswert für die, die bissige Gesellschaftskritik und gedankliche Anregungen politischer Art mögen und die eine hochgestochene, ausgefeilte Sprache, die mit vielen Fremdwörtern und Anglizismen gespickt ist, nicht stört.