Rezension

Portrait einer „Wahnsinnigen“

Die Wahnsinnige - Alexa Hennig Von Lange

Die Wahnsinnige
von Alexa Hennig von Lange

Bewertet mit 4.5 Sternen

„Die Wahnsinnige“ ist das Porträt einer jungen Frau, die gegen die Welt und sich selbst kämpft. Damit ist das Buch eher philosophisch und gesellschaftskritisch, als historisch.

„Die Wahnsinnige“ ist das Porträt einer jungen Frau, die gegen die Welt und sich selbst kämpft. Damit ist das Buch eher philosophisch und gesellschaftskritisch, als historisch.

Der Satz, der, meiner Meinung nach, den Kern des Buches trifft, steht ganz hinten. Nicht nur am Ende der Geschichte, sondern im letzten Absatz des Nachwortes. Die Autorin schreibt dort die Protagonistin, Johanna die Wahnsinnige, sei „eine junge Frau, die erfahren möchte, wer sie ist und wer sie sein kann, die aber von einer Welt umgeben ist, die das für sie immer schon festlegen will. Einer Welt, die auf Liebe mit Macht antwortet, auf Fülle mit Ausbeutung, auf Verletzlichkeit mit Härte und auf Freiheit mit Festsetzung. […] Ist der Mensch wahnsinnig, der dagegen aufbegehrt, oder sind es die Verhältnisse?“ (S.208)

Ist Johanna wahnsinnig? Diese Frage steht von Anfang bis Ende der Geschichte im Raum. Ich habe bis zum Schluss keine Antwort gefunden. Ich kann noch nicht einmal sagen, ob die Protagonistin mir sympathisch ist oder nicht. Im einen Moment halte ich sie für mitfühlend, zu großherzig für die Welt, zu vertrauensselig und verträumt. Ich wünsche ihr, dass sie echt Zuneigung erfährt und herausfindet, wer sie sein will. Im nächsten Moment ist sie arrogant, verwöhnt, gemein und so  dumm, dass ich sie an den Schultern packen und schütteln will. Dabei erlaubt es mir das Buch bis zu einem gewissen Grad ihre Situation nachzufühlen. Wenn sie von einer potenziellen Intrige erfährt, weiß auch ich als Leser nicht, ob diese echt ist oder nur eine weitere Falle. Wenn sie sich jemand anvertraut, weiß auch ich nicht, ob dieser Mensch ihr Vertrauen verdient oder sie verrate wird. So bekomme ich ein Gefühl für die kalte Welt durch die Johanna planlos schwankt und von der sie sich immer wieder verunsichern lässt

Dann stellt sich mir, wie die Autorin schreibt, auch die Frage, ob nicht die Welt selbst verrückt ist. Das Buch ist nicht wirklich ein historischer Roman. Es werden keine langen Schlachten beschrieben, politische Allianzen nur in Nebensätzen geschlossen, gesellschaftliche und wirtschaftliche Begebenheiten nur nebenbei erwähnt. Aber es kommt dabei doch heraus, dass es eine extreme Zeit war zu der Johanna lebte: In Spanien verbrannten schon wegen Kleinigkeiten Menschen auf dem Scheiterhaufen, Columbus entdeckte neue Welten und brachte so über die dort lebenden Völker eine fremde Herrschaft, Könige nutzten sich gegenseitig aus, schlossen Frieden nur um im selben Moment erneutes Morden zu beginnen. Ist das nicht Wahnsinn?

Und sind nicht auch die Menschen wahnsinnig, die Johanna umgeben und sie formen wollen? Ihre kaltherzige Mutter, die sie verurteilt und gleichzeitig zu lieben vorgibt? Ihr Ehemann, der ihr Liebe und Treue schwört bevor er sie hintergeht und erniedrigt. Der Priester, der sich um ihr Seelenheil sorgt und dabei zuallererst sein eigenes Leben retten will? Die Dienerinnen, die ebenso Vertraute wie Feindinnen sind?

„Ist der Mensch wahnsinnig, der dagegen aufbegehrt, oder sind es die Verhältnisse?“ – ich habe keine Antwort auf diese Frage gefunden, aber mir hat die Lektüre sehr gefallen. Sie hat mir neue Ideen in den Kopf gesetzt, mir einen neuen Blick auf die Welt gezeigt und mir vor allem auch das spannende Leben von Johanna der Wahnsinnigen näher gebracht – eine historische Figur, von der ich bisher kaum mehr als den Namen kannte.