Rezension

Positiv überrascht!

Vom Winde verweht
von Margaret Mitchell

Bewertet mit 4.5 Sternen

Ich habe es geschafft: Endlich habe ich auch diese Bildungslücke geschlossen! Nachdem ich 30 Jahre lang sowohl um den Film als auch um das Buch herumgekommen bin, ist Scarlett O'Hara endlich mehr für mich, als irgendeine Frau mit schmachtendem Blick und wehendem Haar, die sich an einen Verandapfosten klammert.

Da ich von der Handlung so gut wie keine Ahnung hatte, war ich sehr positiv überrascht vom Verlauf der Geschichte. Herrschen Anfangs noch Wohlstand und Überfluss auf den Baumwollplantagen der Südstaaten ändert sich das radikal, als der Krieg mit den Nordstaaten ausbricht. Bis dahin waren Scarletts größte Sorgen der Umfang ihrer Taille und die Anzahl ihrer Verehrer. Doch als sie unbedacht einen Heiratsantrag annimmt, sind ihre sorglosen Kindertage dahin. Und auch der Krieg, der doch nach der allgemeinen Meinung im Handstreich zu gewinnen sein sollte rückt näher und näher und fordert schrecklich viele Opfer.

Ich bin erstaunt, wie wenig ich über den Sezessionskrieg wusste. Bis auf die Tatsache, dass Nord- gegen Südstaatler gekämpft habe, war das herzlich wenig. Hier wird dieser Krieg nun sehr anschaulich beschrieben und erklärt. Und das komplett ohne zu langweilen. Tatsächlich hat mir der Teil, in dem Krieg herrscht mit am besten gefallen. Die Mischung aus Spannung, Trauer und dem ungebrochenen Stolz der Südstaatler war wunderbar beschrieben.

Generell sind diese Südstaatler ein spezielles Volk. Ehre und Anstand sind die höchsten Werte. Es herrschen strenge Konventionen und das gesellschaftliche Leben ist hart durchgetaktet. Wer damit nicht zurecht kommt eckt schnell an. Und genau das tun unsere Hauptcharaktere Rhett Butler und Scarlett O'Hara natürlich. Die beiden sind nicht unbedingt zum liebhaben – dafür haben sie zu viele Fehler, sind selbstbezogen und eingebildet. Aber gerade das macht sie interessant und ich würde lügen, wenn ich sagte, dass ich Scarlett und Rhett nicht mochte.

Bei Scarlett hat mich ihre Stärke beeindruckt. Ihr Pragmatismus und ihr stahlharter Wille, der sie auch in den schwärzesten Stunden hat weitermachen lassen. So viel Mut hätte man dem kleinen Südstatenprinzesschen anfangs gar nicht zugetraut. Sie wächst an ihren Aufgaben. Sie macht Fehler, auch große, aber man kommt einfach nicht umhin, von ihrem Willen beeindruckt zu sein. Rhett mochte ich für seine Ehrlichkeit und Unangepasstheit. Auch wenn er viel zum eigenen Vorteil macht, denkt er weiter als viele andere Südstaatler. Zwischen all den spießigen Gentleman und verzärtelten Damen, war es für mich eine wahre Erleichterung, endlich jemanden zu haben, der Klartext redet. Allerdings kann ich ihm sein Benehmen im letzten Teil des Romans noch immer nicht ganz verzeihen... Das ist auch mein stärkster Kritikpunkt. Im letzten, vergleichsweise kurzen Teil, wurde mir viel zu viel gestritten. Vor allem kam mir der Streit so unnötig vor. Man verletzte sich gegenseitig, weil man selbst verletzt war, dabei hätte ein einziges klärendes Wort genügt um dem ganzen ein Ende zu machen. Den beiden eher unbequemen Charakteren steht Melly gegenüber, deren Charakter einfach pures Gold ist. Sie ist bescheiden, klug und liebevoll, sieht immer das beste in den Menschen, beweist in den richtigen Momenten Stärke, ist treu und das alles ohne zu nerven!

Was den einen oder anderen Leser sicher abschrecken könnte, ist die Beschreibung der Sklaverei. Die Südstaatler waren der Meinung, ein schwarzer Mensch ist wie ein Kind: Er braucht Führung, kann ohne seinen Herrn gar nicht zurechtkommen und ist von Natur aus dümmer als ein weißer Mensch. Das wird so auch oft beschrieben. Ich habe mich beim lesen ständig gefragt, ob Mitchell das ernst mein oder ob sie nur die damalige Meinung wiedergibt. Zum Vergleich gibt es auch einige Szenen, in denen den Frauen die Intelligenz abgesprochen wird. Diese Szenen fand ich aber durchweg sehr witzig und ironisch. Und eigentlich wollte ich die Szenen über die Schwarzen auch so sehen: Als Überspitzung, als Ironie, als Klischee der damaligen Zeit. Nur wollte es mir nicht so leicht gelingen, wie bei der Beschreibung der Frauen. Die Sache ist die: Wäre ich Schwarz und läse dieses Buch, ich wäre ziemlich angepisst.

Lange Rede, kurzer Sinn: Ich habe vom Winde verweht sehr gerne gelesen! Es ist informativ, wartet mit einer Wendung nach der anderen auf, ist spannend, hat wunderbare, glaubhafte Charaktere, die sich toll entwickeln. Es ist tragisch, traurig und definitiv mehr als nur eine Liebesgeschichte. Trotz zwei kleinen Kritikpunkten ein spannender und lesenswerter Klassiker.