Rezension

Positiver Etikettenschwindel

Theoderich der Große - Hans-Ulrich Wiemer

Theoderich der Große
von Hans-Ulrich Wiemer

Bewertet mit 5 Sternen

Bereits vor Jahren hatte ich die schmale Biographie (192 Seiten) Theoderichs von Frank M. Ausbüttel gelesen und mich gewundert, wie aus den relativ spärlichen Überlieferungen nun das über 650 Seiten im Textteil umfangreiche Werk Wiemers entstehen konnte. Die Erklärung ist einfach, im Gegensatz zu Ausbüttel beschränkt sich Wiemer nicht auf die Darstellung des Lebens Theoderichs, sondern die Italiens in der Spätantike. Dies ist ihm in eindrucksvoller Weise gelungen, es geht nicht nur um die Eroberung des Landes durch die Goten, sondern auch die Schilderung des Zusammenlebens zwischen Eroberern und Eroberten. Kurz gesagt, könnte man von einer Arbeitsteilung sprechen. Die Goten sorgten als Krieger für den inneren und äußeren Frieden, die Römer, insbesondere die aus der Senatorenschicht, kümmerten sich um die Innenpolitik. Das dies weitgehend spannungsfrei funktionierte, stellt die eigentliche Leistung des Gotenkönigs Theoderich dar, um so mehr, als dass zwischen den Goten als Arianern und den Römern als Katholiken zwei christliche Konfessionen zusammenlebten. Anders als im Vandalenreich versuchte der König nicht, mit Gewalt der Bevölkerungsmehrheit seinen Glauben aufzuzwingen. Auch die wechselnden Päpste, sonst bei religiösen Auseinandersetzungen immer auf dem Primat des römischen Bischofsstuhls gegenüber allen anderen Bischöfen beharrend, erkannten die Vorteile dieser Kohabitation. So kam es zu einer späten Blüte Italiens, die allerdings schnell zusammenbrach. als der Herrscher, der offensichtlich unzulängliche Nachfolgeregelungen getroffen hatte, starb. Innergotische Wirren ausnutzend ergab sich für den oströmischen Kaiser die Möglichkeit, diesen verloren gegangenen und prestigeträchtigen Reichsteil zurückzuerobern. In weiteren Teilen seines Buches geht Wiemer umfassend auf die wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen nach dem Untergang des weströmischen Reiches ein. Abgerundet wird das ganze durch eine Betrachtung der Veränderungen, die die Darstellung Theoderichs in der Geschichtsschreibung erfahren hat. Erstaunlich fand ich, dass er wider Erwarten in der Zeit des Nationalsozialismus nicht als Vorkämpfer des Germanentums dargestellt wurde, sondern eher stiefmütterlich behandelt wurde. Der Grund dafür dürfte in seiner Toleranzpolitik gegenüber der jüdischen Minderheit in seinem Reich gewesen sein.