Rezension

Postapokalypse vom Feinsten - wenn die Nahrung nicht mehr für alle reicht ...

Blackout Island - Sigríður Hagalín Björnsdóttir

Blackout Island
von Sigríður Hagalín Björnsdóttir

Bewertet mit 4 Sternen

Als Hjalti und Maria sich Hals über Kopf trennen, hätte der Zeitpunkt  nicht ungünstiger sein können; denn Island wird kurz darauf von der übrigen Welt abgeschnitten. Noch gibt es Elektrizität, aber die Kommunikation mit anderen Ländern ist unmöglich.  Flug- und Schiffsverkehr enden abrupt, Vorräte sind schon jetzt begrenzt, Besucher müssen auf der Insel bleiben und können nicht in ihre Heimat zurück. Da der  Staatspräsident nicht mehr aus dem Ausland zurückkehren kann, muss die Innenministerin ihn vertreten. Wer das Land führen will, muss für Wasser, Nahrung und Wärme sorgen, sonst werden Unruhen nicht lange auf sich warten lassen.

Hjalti hat bisher als Journalist bei einer Zeitung gearbeitet. Für die ganz große Karriere in seinem Beruf ist er zu harmoniebedürftig und ausgleichend. Ein Journalist muss polarisieren können. Doch in der apokalyptischen Situation scheint er als persönlicher Assistent der Innenministerin der richtige Mann zu sein.

W e n n  ein Land allein eine Krise bewältigen kann, müsste es Island sein, wo Menschen seit Generationen zwischen Lavafeldern und mit Wärme aus dem Untergrund dem Boden Nahrungsmittel abtrotzen. Doch schnell wird klar, dass die in Island erzeugte Nahrung nicht für die gewachsene und konsumverwöhnte Bevölkerung reichen wird. Bauern und Fischer stehen plötzlich an der Spitze der Hierarchie, weiter unten Berufe, die keine Konsumgüter erzeugen. Wer früher auf abgelegenen Gehöften ein paar Schafe züchtete, durfte niemals die Hände in den Schoß legen, wenn er sich und seine Familie durchbringen wollte. Nur wer kann heute noch Melken, Schlachten und Heu machen? Und wie soll man den Isländern überlebensnotwendige Fertigkeiten so schnell  beibringen? Auf einem einsamen Gehöft irgendwo am Fjord schlägt sich ein älterer Mann durch, der offenbar noch genug weiß, um dort klarzukommen. Aber wird er dem harten Leben allein trotzen können, das vor allen Isländern liegt?

Während Maria, wie so viele, nun Arbeit gegen Unterkunft und Verpflegung sucht, schließt ihre 13-Jährige Tochter sich einer Jugendbande an. Wenn Eltern ihre Kinder nicht mehr versorgen können, müssen die eigene Wege suchen. Maria als gebürtige Spanierin ist eine der ersten, die mit Gewalt und Nationalismus konfrontiert wird. Obwohl in der Landwirtschaft alle Hände gebraucht werden, ist Maria als Mutter eines schwarzen Kindes nun unerwünscht – mögen die Tomaten in den Gewächshäusern derweil ruhig vergammeln.

„Blackout Island“ als deutscher Titel lässt offen, ob die Nation Island, die Insel im geografischen Sinn oder beide Bedeutungen gemeint sind. Bereits der  Schauplatz beeindruckt mich durch seine düstere Atmosphäre. Björnsdottir erzählt, wie innerhalb kurzer Zeit eine perfekt organisierte Zivilisation ausradiert wird durch die Gewaltherrschaft der Stärkeren und Dreisteren zu Lasten der übrigen Bevölkerung. Der Focus wechselt vom einsamen Icherzähler am Fjord und seinem Tagebuch, über Hjalti, der sein Mäntelchen nach dem Wind hängt, zu Maria und ihrer Tochter, die nach 15 Jahren im Land plötzlich nicht mehr zu „uns“ gehören sollen. Eingestreute Dokumente geben u. a. Einblick in Elins Strategien zur Krisenbewältigung.

Als Leser fragt man sich, welche Persönlichkeiten und Fähigkeiten in Notzeiten gebraucht werden. Wer gewinnt und wer verliert hier?  Welche Rolle wird die Presse spielen – soll sie ermutigen, aufwiegeln oder vertuschen? Der urplötzlich spürbare Nationalismus überrascht nicht; allerdings sind der Autorin die Parallelen zur gegenwärtigen Situation in Europa reichlich plakativ geraten. Eine postapokalyptische Handlung, die in der unmittelbaren Gegenwart spielt und uns Europäern den Spiegel eindringlich vor Augen hält.