Rezension

Potential nicht ausgeschöpft ​

Mortal Engines 1 - Philip Reeve

Mortal Engines 1
von Philip Reeve

Bewertet mit 3.5 Sternen

Die Idee hinter „Mortal Engines“ ist durchaus interessant: Fahrende Städte, die einander „auffressen“ und weiterverwerten, weil auf dem zerstörten Kontinent Europa nichts mehr zu holen ist, und eine „Zivilisation“ die vom „Städtedarwinismus“ lebt und Menschen in „statischen Siedlungen“ als Barbaren ansieht. Schmunzeln musste ich vor allem über die Ansichten der Städter*innen über das Festland, dass für sie Natur und ihre Gerüche (z.B. Blumenduft) unhygienisch sind.
Leider verpasst Reeve viele Chancen, diese Welt, ihre Entstehung und ihre Funktionsweise genauer zu erläutern.

In vielen Aspekten ist „Mortal Engines“ jedoch eine eher durchschnittliche Dystopie. Die „zivilisierte“ Gesellschaft ist hierarchisch aufgebaut und es gibt verschiedene soziale Klassen, wobei die Menschen in der untersten kein sonderlich angenehmes Leben führen. Letzendes lebt sie von der Ausbeutung schwächerer und es ist von Anfang an klar, dass die Hauptfiguren etwas daran ändern werden. Wie ebenfalls in vielen anderen Dystopien gibt es auch hier eine Gruppe Rebellen bzw. Gegner des Systems (die Antitraktionisten). Auch die naive Hauptfigur, die durch Zufall aus ihrem sicheren Leben gerissen wird und die Schattenseiten ihrer Gesellschaft kennenlernt, und die Figur, die Rache für ihre Familie üben will, sind altbekannte Elemente.

Wikipedia zufolge plante Reeve den Roman zunächst als Buch für Erwachsene und entschied sich erst später auf einen Rat hin, ein Kinderbuch daraus zu machen. Meiner Meinung nach ist dieser Wechsel nicht gut gelungen, denn man merkt im Buch deutlich, dass viele Aspekte nicht zusammenpassen.

Tom, die Hauptfigur, ist beispielsweise ein typischer Kinderbuchprotagonist. Er ist lieb, ein wenig naiv, aber, wenn es drauf ankommt, heldenhaft. So bietet er oberflächlich zwar Identifikationspotential, bleibt jedoch im Vergleich mit „erwachsenen“ Figuren eher flach. Die weiblichen Figuren Katherine und Hester sind durch ihre Vergangenheit bzw. Entwicklung im Buch schon etwas detaillierter charakterisiert, doch auch sie sind recht einfach gestrickt. Wie sich die Beziehung der Figuren zueinander entwickeln wird, ist ebenfalls von Anfang an klar. Am meisten fällt dies jedoch bei den Antagonisten auf, insbesondere bei den Einblicken Valentines Gedanken am Ende des Buches. Für die Entwicklung dieser Figuren hätte Reeve sich durchaus mehr Zeit nehmen können.
Positiv finde ich dafür, dass in „Mortal Engines“ auch starke Mädchen eine Rolle spielen, die sich, auch wenn Tom oft versucht sie zu beschützen, auch selbst wehren können und alleine Pläne schmieden und umsetzen.

Auch der Schreibstil des Romans ist zum Teil an junge Leser*innen angepasst. Er ist leicht zu lesen, vom Satzbau und der Wortwahl her häufig eher einfach gestrickt.
Dafür kommt man jedoch auch schnell in die Geschichte rein und das Buch liest sich schnell. Die vielen Actionszenen, bei denen teilweise auffällt, dass Reeve in der Überarbeitung Erklärungen zum Setting andere Teile rausgeschnitten hat, sorgen dafür, dass die Seiten förmlich dahinfliegen. Gerade anfangs hätte ich nichts gegen ein wenig mehr Ruhe und mehr einführende Passagen gehabt, da de Erzählung leicht gehetzt wird.

Geschickt genutzt werden die verschiedenen Perspektiven, sodass sowohl die Ereignisse in London als auch Tom und Hesters Reise und die Schritte der Bösewichte begleitet werden. Das macht das Buch abwechslungsreich und noch ein Stück spannender. Mir hat sich allerdings nicht erschlossen, wieso einige der parallel verlaufenden Ereignisse im Präsens erzählt wurden, während das Buch sonst im Präteritum geschrieben ist.

Der Schreibstil ist es jedoch auch, der den Roman deutlich von dem angeblich geplanten Kinderbuch abgrenzt. Wie bereits erwähnt steckt der Roman voller Actionszenen und das bedeutet - da der deutsche Untertitel nicht umsonst „Krieg der Städte“ lautet - Kampf. In Szenen, in denen Leute mit Schwertern kämpfen oder Luftschiffe explodieren, geht Reeve nicht gerade zimperlich mit den Figuren und ihren Mitmenschen um. Beschreibungen von Toden und Leichen, auch denen hunderter Unschuldiger und kleiner Kinder, finden sich in dem Roman zuhauf. Sehr viele, auch wichtige, Figuren verlieren bereits in diesem Band ihr Leben. Für Kinder würde ich den Roman daher absolut nicht empfehlen. Gleichzeitig fürchte ich, dass ältere Leser sich mit den einfach gestrickten Figuren eher langweilen könnten.

Sieht man das Buch eher als Roman für ältere Leser, hat mir die Brutalität des Endes gut gefallen. „Mortal Engines“ beschreibt ein Kriegsszenario und da sind Verluste, auch in den Reihen der Guten, nur realistisch. Toll finde ich auch, dass sich Tom zum Ende hin nicht zu dem strahlenden Helden entwickelt, den ich erwartet hätte, sondern auch Fehler macht, wie es für einen 15-jährigen unter solchen Umständen sicher nur realistisch ist.

Fazit

Die Idee hinter „Mortal Engines“ hat Potential und das Buch ist spannend geschrieben und lässt sich gut lesen. Leider sind die Figuren eher flach und kindlich und der Schreibstil erinnert teilweise ebenfalls eher an ein Kinderbuch.