Rezension

Projektionen – oder: nichts sehen, nichts hören, nichts sagen

Freetown - Otto de Kat

Freetown
von Otto de Kat

Bewertet mit 5 Sternen

Wie verändert eine Affäre dein Innerstes? Wie verändert sie die eigene Wahrnehmung, die Denkweise, das Verhalten? Diesen großen Fragen steht man in dieser Geschichte gegenüber.

Maria, eine verheiratete Frau beginnt eine Liaison mit einem verheirateten Mann. Nach vielen Jahren beendet dieser Mann die Affäre und verschwindet aus ihrem Leben. Einige Zeit später taucht ein anderer Mann in ihrem Leben auf, ein junger afrikanischer Flüchtling. Stillschweigend betrachtet sie diesen Jungen als ihren Sohn. Doch auch er verschwindet, plötzlich und spurlos. Maria verliert jeglichen Halt. In ihrer Orientierungslosigkeit bittet sie ihren ehemaligen Liebhaber (Vincent) um ein Treffen. Sie erhofft sich durch ihn erlösende Antworten auf ihre Fragen. Und Fragen gibt es zuhauf in dieser Geschichte – gestellte und ausgesparte Fragen.

Otto de Kat hat ein psychologisches Fass aufgemacht in dem er seinen Protagonisten fragwürdige Handlungen zuschreibt und sie Realitäten von sich weisen lässt. Er hat ein Vakuum erzeugt, in dem selbst die Spitze eines Eisbergs eine trügerische Erscheinung bleibt, weil sich unter dem Wasser bereits alles aufgelöst hatte.

Aus dieser Zersetzung wird Maria herausgeführt. Die Phase der Entwicklung beginnt sachte, fast unmerklich. Sie schreitet voran in Gesprächen und Ungesagtem und Hilfe suchenden Handlungen, wird rasanter um dann unvermittelt abgeschlossen zu sein. Vincent tastet sich an seine eigenen Verluste heran. Er beginnt, seinen Lebenskreis zu schließen.

Einige Fragen bleiben offen. Deren Beantwortung wäre nur ein hübsches Beiwerk zu der Geschichte, für den Entwicklungsprozess von Maria und Vincent sehe ich dafür jedoch keine Relevanz.

Ich finde das Buch stark atmosphärisch. Die Beteiligten sind physisch anwesend, jedoch so sehr mit sich selbst befasst, dass sie den anderen gegenüber abwesend sind. Doch nach und nach verbinden sich die Parallelen der Beziehungen in der Aufarbeitung des Erlebten.

Eine Geschichte darf meine Gedanken bemühen, darf sie fordern, darf sie verwirren, darf mich dazu anhalten, mich in sie „hineinzuarbeiten“. Diese Geschichte hat es bestens getan. Ich danke dem Autor für diesen außergewöhnlichen literarischen Schatz.