Rezension

Provokant und verwirrend

Drei Kameradinnen -

Drei Kameradinnen
von Shida Bazyar

Bewertet mit 3 Sternen

Bei der Lektüre von Shida Bazyars Roman „Drei Kameradinnen“ kann es durchaus zu Irritationen kommen. Gleich zu Beginn der Lektüre war ich sogar sehr irritiert – da kaufe ich ein Buch und werde von der Autorin angegriffen, verspottet und für hoffnungslos borniert und ignorant gehalten? Die Frau kennt mich doch gar nicht? Wie frustrierend und ärgerlich!

Genau das ist der Punkt. Dieses Erlebnis haben Deutsche, die wie „Ausländer“ aussehen, jeden Tag;  Zuschreibungen aufgrund rassistischer Vorurteile. Bazyar benutzt das Stilmittel der Publikumsbeschimpfung, sie provoziert, indem sie uns ihrerseits Vorurteile um die Ohren haut. Eine originelle Art, die Übersensibilisierung und Gegenpolarisierung zu beschreiben, die sich einstellt, wenn man zu vielen dieser Übergriffe ausgesetzt war.

Das ist das, was Bazyars Heldinneneint: Dieselben Erfahrungen, dieselbe Ghettosiedlung am Stadtrand, in der sie aufgewachsen sind. Ansonsten könnten sie nicht unterschiedlicher sein. Saya ist wütend, Hani angepasst und Kasih ist die kühle Beobachterin und Ich-Erzählerin. Aber Vorsicht: Der Begriff der unzuverlässigen Erzählerin bekommt hier eine ganz neue Bedeutung. Kasih fabuliert aus einer allwissenden Ich-Perspektive – und man glaubt ihre Geschichten, bis sie sagt ätsch, reingefallen, das hast du mir nur geglaubt, weil du im tiefsten Inneren eine Rassistin bist. Du bist privilegiert – und du weißt es nicht mal. Doch. Weiß ich übrigens schon länger, ich bin ein bisschen herumgekommen. What,  ich kann mir Reisen leisten? Schande über mich! Vor allem im ersten Drittel des Romans muss man viel Bashing aushalten. Käme das Ganze nicht mit so viel Witz und Ironie rüber, man würde nach 20 Seiten aufhören zu lesen.

Das zentrale Thema in den wenigen geschilderten Tagen jedoch ist der NSU-Prozess, der aber nie benannt wird. Natürlich kann sich niemand ohne Migrationshintergrund die Ängste vorstellen, die eine Gruppierung wie die NSU bei eingebürgerten Deutschen auslöst. Vor allem, weil die Institutionen, die sie hätten schützen sollen, komplett versagt haben, weil Migranten aus ihrer Sicht nicht dazugehören und daher nicht schützenswert sind. Dieses wichtige Thema  - das Versagen des deutschen Staates - geht aber in einer Flut von Fremdheits- und Ausgrenzungserfahrungen unter. Das finde ich schade. 

Eine fatale Wirkung hat der Prozess auf Saya, die laut Prolog als Brandstifterin verdächtigt wird und in U-Haft sitzt. Der Spannungsbogen des Romans wölbt sich von diesem Prolog hin zum Ende, von dem man sich eine Klärung ihrer Verwicklungen erhofft. So, wie Kasih ihre frustrierte und zornige Freundin schildert, hält man es für möglich, dass sie irgendwann durchgedreht ist – aber für ebenso möglich, dass ihr die Tat untergeschoben wurde.

Dann kam das Ende, und sorry, ich war raus. Brav habe ich alle Twists und Sprünge mitgemacht, mich in Empathie, Introspektion und Selbstkritik geübt, um dann – ja was? Ich habe es nicht verstanden. Für mich entwertet das die ganze Story. Das Feuilleton versteht offenbar (obwohl ich nirgendwo eine erhellende Interpretation gefunden habe) und ist begeistert – super, das bringt Verkäufe.

Was bringt es, ein thrillerähnliches Setting aufzubauen, Hinweise und Spuren zu platzieren und dann: nix? Mir als lernwilliger Leserin bringt das gar nichts. Daher kann ich den Roman nur sehr ambivalenzfähigen Leserinnen empfehlen.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 21. Mai 2021 um 01:11

"Dieses wichtige Thema  - das Versagen des deutschen Staates - geht aber in einer Flut von Fremdheits- und Ausgrenzungserfahrungen unter. Das finde ich schade."

Das finde ich auch. Für mich wäre dies der zentrale Punkt des Romans gewesen .... aber.

lillywunder kommentierte am 01. Juni 2021 um 16:02

Tolle Rezi :) Die Kritikpunkte kann ich absolut nachvollziehen, auch wenn bei mir die positiven Aspekte überwiegen :)