Rezension

Pst!

The Silence - Tim Lebbon

The Silence
von Tim Lebbon

Bewertet mit 3 Sternen

Forscher entdecken in Moldawien ein Höhlennetz, das bisher völlig autark existiert hat und so ein in sich geschlossenes Ökosystem darstellt. Doch kaum geöffnet, offenbart sich ihnen eine noch nie dagewesene Lebensform. Da niemals dem Sonnenlicht ausgesetzt, haben die geflügelten Wesen sich auf die Jagd nach Gehör spezialisiert, Augen besitzen sie nicht. Unbarmherzig fallen sie nun über jedes Lebewesen her, das auch nur das leiseste Geräusch von sich gibt. Sie töten, fressen, legen Eier in ihre Beute, vermehren sich rasend schnell und breiten sich bald in ganz Europa aus.
Die, seit einem Unfall vor einigen Jahren, gehörlose vierzehnjährige Ally verfolgt in den Nachrichten die Expedition und auch das Sterben. Beunruhigt sammelt sie akribisch alle Meldungen und Informationen zu dem Vorfall und wird so indirekt Zeuge von der unkontrollierten Ausbreitung der sogenannten "Vesps". Allys Vater Huw ist im Außendiensteinsatz als auch er von den Ereignissen hört. Huw, Ally und dem Rest der Familie (bestehend aus Mutter Kelly, Bruder Jude und Oma Lynne) wird schnell klar, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis die Vesps auch Großbritanien erreichen werden und so machen sie sich auf den Weg nach Norden in abgelegene, menschenleere Gebiete, denn ihre einzige Zufluchtsoption ist die Abgeschiedenheit und Stille.

Leseeindruck

New York Times-Bestseller-Autor und mehrfacher Award-Gewinner Tim Lebbon hat bereits über vierzig Romane und Geschichten verfasst, einige davon wurden verfilmt – so auch "The Silence", der unter gleichnamigen Titel im Mai 2019 in den deutschen Kinos zu sehen ist. Der Buchheim Verlag hat sich die Rechte des Romans gesichert und schon im März 2019 eine wunderschöne Schmuckausgabe herausgebracht. Handnummeriert und -geprägt, limitiert auf 777 Exemplare, mit einer hochwertigen Fadenbindung und einer komplett farbigen Innengestaltung inklusive Daumenkino sowie Illustrationen des zweimaligen Gewinners des British Fantasy Awards Daniele Serra ist dieses Buch ein in sich stimmiges Kunstwerk, das das Herz eines jeden Bibliophilen höher schlagen lässt. Wer den stolzen Preis für diese Vorzugsausgabe nicht zahlen kann oder möchte, die Geschichte aber gern lesen möchte, der hat auch die Möglichkeit zum gängigen Hardcover oder verhältnismäßig günstigem Ebook zu greifen.

Nun aber zum Inhalt, der mich leider nicht ganz so begeistern konnte wie die Aufmachung der Schmuckausgabe. Lebbon hat einen rasanten, schnörkellosen Erzählstil, der sich gut lesen lässt, aber auch ab und an etwas abgehackt wirkt (Bewertungsgrundlage ist natürlich hier die deutsche Übersetzung, das Original habe ich nicht gelesen). Seine Figuren sind keine Stereotypen, was ein großer Pluspunkt ist, dennoch bleiben sie größtenteils blass in meinen Augen. Es ist zwar deutlich spürbar, dass der Autor versucht ihnen Tiefe zu verleihen, indem er ihre Gefühle wie Zerissenheit, Angst, Verzweiflung, Trauer oder bedingungslose Liebe immer wieder thematisiert, doch gelingt ihm das nicht in letzter Konsequenz. Und so wiederholen sich Gedankengänge der Charaktere das ein oder andere Mal, auch sind ihre Handlungsweisen nicht immer nachvollziehbar oder logisch. Was Lebbon allerdings gut vermittelt, ist der Zusammenhalt der Familie, den er ganz klar in den Fokus stellt. Die Aussage ist deutlich: Wenn du als Familie zusammenstehst, kannst du auch angesichts eines drohenden Untergangs der Zivilisation überleben und deine Werte schützen, Mensch bleiben.

Die Idee des Roman ist toll, wenn auch im Kern nicht vollkommen neu. Sieht man von einigen Logikbrüchen und Ungereimtheiten ab, so liest sich "The Silence" auch bis zu einem bestimmten Punkt spannend. Vor allem die Integration der sozialen, digitalen Medien, durch die Ally und ihre Familie dem europaweiten Geschehen auch auf ihrer Flucht folgen können, ist modern und ein guter Kniff. Jedem Kapitel sind solche Nachrichtenauszüge vorangestellt und der Leser kann so ebenfalls dem Verlauf der Katastrophe beiwohnen, ohne ausschließlich auf die Sicht der Erzählstimme Allys oder Huws angewiesen zu sein.

Der für mich größte Kritikpunkt findet sich aber im Handlungs-/Spannungsverlauf wieder. Bis etwa zur Hälfte des Buches baut sich langsam und zum Teil auch atmosphärisch Spannung auf, die dann (soviel sei verraten) mit dem Zusammentreffen der Wesen und Allys Familie ihren endgültigen Höhepunkt erreicht. Ab da hat mich dann der Autor mehr und mehr verloren. Es gab immer mal wieder ein kurzes Aufblitzen von Spannung oder Konflikten, bei denen man wieder aufgemerkt hat, diese wurden dann aber leider nicht konsequent ausgebaut und viel zu schnell wieder fallengelassen. Gute Ansätze, die dann im Sande verliefen. Der Sinn erschließt sich mir als Leser da nicht. Und auch das Ende brachte mir nur stille Ratlosigkeit – nichtssagend und ohne irgendwelche Erkenntnisse. Das lässt unbefriedigt zurück.

Sehr gut gelungen – inhaltlich wie optisch – und deshalb auch noch erwähnenswert, ist auch die Unterteilung des Romans in drei Teile: Lärm – Stille – Grau. Für jeden Teil steht bei der Schmuckausgabe eine andere Farbe und so ist "Lärm" mit der Signalfarbe Rot gekennzeichnet, "Stille" erhält einen Ockerton und "Grau" ein schmutziges Blaugrau.

Fazit

"The Silence" besticht in meinen Augen vor allem durch die Gestaltung der großartigen Vorzugsausgabe. Optisch ein wahrer Hingucker, kann der Inhalt leider nicht mithalten. Es ist ein streckenweise spannender, vom Kern her auch interessanter Roman mit Road-Trip-Elementen, bei dem vor allem der Familienzusammenhalt im Mittelpunkt steht. Das Horrorelement ist vorhanden, sorgt bei einem Liebhaber des Genres aber definitiv nicht für Gänsehaut oder angehaltenem Atem. Es fehlt insgesamt an Subtilität und Rafinesse – für einige unterhaltsame, kurzweilige Lesestunden ist aber durchaus gesorgt.