Rezension

Psychologisch spannend und verstörend

Ich bin Tess - Lottie Moggach

Ich bin Tess
von Lottie Moggach

Kein klassischer Thriller, da doch teilweise sehr langatmig und nicht besonders spannend. Die psychologische Komponente fesselt aber.

Inhalt

Leila, Mitte 20, lebt nach dem Tod ihrer Mutter ohne weitere Familie und Freunde zurückgezogen in einer kleinen Wohnung in London. Sie arbeitet am Computer von daheim aus und hat keine sozialen Kontakte, spielt am liebsten World of Warcraft. Eines Tages stört sie online auf ein Forum, in dem sie mit Gleichgesinnten philosophische Fragen diskutiert und sich verstanden fühlt. Dann macht ihr der Forumsoberguru, Adrian, bei einem persönlichen Treffen ein außergewöhnliches Angebot: Leila soll einer fremden Frau, die bipolar ist und sich durch diese Krankheit massiv eingeschränkt fühlt und deshalb Selbstmord begehen will, helfen.

Diese Frau ist Tess. Leila soll so viel wie möglich über Tess erfahren, um schließlich online auf Facebook und in E-Mails bei Tess' Familie und Freunden ihre Rolle einzunehmen und nach und nach ihre Identität anzunehmen. Die Idee dahinter: langsam den Kontakt zu allen einschlafen zu lassen, so dass "Tess" auf angenehme Art und Weise aus ihren Leben verschwindet und ihre Angehörigen sich nicht mit Tess' Selbstmord auseinandersetzen müssen.

Meine ausführlichere Meinung

Eine sehr spannende Grundidee, aber definitiv kein einfaches Buch. Zunächst einmal sind da die Charaktere: gerade zu Leila, aus deren Sicht im Stile eines Online-Tagebuches alles rückblickend geschildert wird, konnte zumindest ich keine Verbindung aufbauen. Aber auch die anderen Figuren sind gebrochen und regelrecht unsympathisch.

Außerdem zieht sich das Buch für mich sehr hin, was vor allen Dingen an der Detailfülle an Informationen liegt, die geschildert werden. Schließlich muss Leila das Leben von Tess so gut und ausführlich wie nur möglich kennen, um sie später glaubwürdig verkörpern zu können. Hier hätte man meiner Meinung nach deutlich stärker straffen können, ohne dass der Rest des Buches darunter gelitten hätte.

Interessant fand ich die philosophischen Debatten, die Leila online geführt hat. Etwa eben die Frage um die Selbstbestimmtheit des Menschen oder auch Euthanasie. Aber die eigentliche Handlung verläuft sehr ruhig, es herrscht keine thrillerübliche Spannung und es gab auch nie eine schockierende Wendung. Der Fokus liegt deutlich auf dem psychologischen Aspekt - Leila, aber auch Tess. In dieser Hinsicht bietet das Buch doch einige Denkanstöße.

Das Ende finde ich konsequent, kann mir aber vorstellen, dass es viele Leser unbefriedigt zurück lässt.

Fazit

Als Thriller und Jugendbuch würde ich "Ich bin Tess" auf keinen Fall einordnen. Aber wer daran interessiert ist, welche unterschiedliche Rollen eine Person einnehmen kann, wie wenig man doch einen anderen Menschen wirklich kennt und wie geschickt man Fassaden aufbauen kann, um den schönen Schein zu wahren, wird das Buch sicherlich zu schätzen wissen.