Rezension

Psychopathinnen aus psychologischer Sicht

Psychopathinnen - Lydia Benecke

Psychopathinnen
von Lydia Benecke

Bewertet mit 4.5 Sternen

Lydia Benecke (www.benecke-psychology.com) arbeitet als selbstständige Psychologin und als Therapeutin, unter anderem in einer Sozialtherapeutischen Einrichtung des Strafvollzugs mit schweren Straftätern. Sie hält regelmäßig Vorträge für ein breites Publikum und hat bereits mehrere Bücher geschrieben, unter anderem „Auf dünnem Eis. Die Psychologie des Bösen“ und „Sadisten. Tödliche Liebe – Geschichten aus dem wahren Leben“.

Gelesen hatte ich bislang noch keines ihrer Bücher, aber da mich die Abgründe der menschlichen Psyche interessieren, behielt ich ihren Namen im Gedächtnis und las nun ihr neustes Werk „Psychopathinnen. Die Psychologie des weiblichen Bösen“.

Der Klappentext verrät:
„Frauen sind wehrlos, sie leiden, sie dulden, sie verzeihen. Doch wenn die Psychopathie in ihrer Seele sich Bahn bricht, töten sie ebenso grausam und skrupellos wie Männer. Lydia Benecke analysiert neueste Forschungsergebnisse zum Thema weibliche Psychopathie und zeigt an aktuellen und historischen Fällen, wie sich Psychopathinnen die Rollenklischees von Frauen zunutze machen. Denn Frauen planen ihre Verbrechen nicht nur eiskalt, sie bleiben auch länger unentdeckt. Besonders gruselig: Die Taten von Psychopathinnen richten sich besonders häufig gegen die eigene Familie…“

Psychopathen sind oft spannende Grundlagen für Figuren in Büchern, Filmen und Serien. Aber wie sieht eigentlich die Wirklichkeit aus, wollte ich wissen. Und nun, nachdem ich das Buch beendet habe, bin ich geschockt, weil mir dieses Buch mehr mitgeteilt hat, als ich persönlich ertragen kann. Erwartet hatte ich, dass sich Fallbeispiele mit Erläuterungen abwechseln würden, durch die ich viel Interessantes und Neues zu dem Thema erfahren würde, mit dem ich mich bisher noch gar nicht auseinandergesetzt hatte. Das habe ich auch bekommen.

Ich weiß nun unter anderem, dass aus wissenschaftlicher Sicht das Konstrukt Psychopathie eine Mischung mehrerer Persönlichkeitsstörungen ist, die eine Person gleichzeitig aufweist und ich weiß, dass es einen Psychopathiewert gibt, mit dem sich das beziffern lässt. Aber ich habe die Wucht, mit der die von der Autorin eher unaufgeregt und sachlich aus psychologischer Sicht geschilderten Fälle über mich hereingebrochen sind, unterschätzt. In dem Bewusstsein, dass es sich nicht um fiktive Ereignisse handelt, las ich über Kindesmissbrauch, sexuelle Übergriffe, Kindstötung, von zwei Extrembeispielen von Müttern mit dem Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom und vieles mehr. Dabei geht Lydia Benecke zwar nicht mehr ins Detail, als unbedingt nötig, aber oft musste ich das Buch dennoch aus der Hand legen, um mich erstmal von dem gelesenen zu erholen.

In diesem Zusammenhang finde ich es jedoch positiv, dass Lydia Benecke es der Entscheidung des mündigen Lesers überlässt, der sich den ein oder anderen Text oder Sonderkapitel als PDF-Dokument von ihrer Website herunterladen kann, wenn manch grausamer Vorgang noch genauer nachgelesen werden möchte.

Dass zum Teil Fotos von den beschriebenen Personen in den Text eingefügt wurden, führte mir ebenso wie die Literaturhinweise und Quellen am Schluss des Buches vor Augen, dass die im Buch geschilderten Verbrechen tatsächlich vor einiger Zeit passierten. Das war für mich, die ich bisher noch keine True-Crime-Stories gelesen hatte, eine völlig neue Erfahrung und ich war beinahe jedes Mal erleichtert, wenn inmitten der Fälle Texteinschübe folgten, in denen auf Begrifflichkeiten oder unterschiedliche psychische Krankheitsbilder eingegangen wurde oder ein Vergleich der Symptome bei unterschiedlichen Täterinnen erfolgte. Das waren jedoch nicht nur leserische Verschnaufpausen von der ‚harten Kost‘, sondern gleichzeitig aussagekräftige Zusatzinformationen, die mir als Laien die Thematik verständlich rüberbringen konnten.

„Der Kreislauf des sich über Generationen hinziehenden Leids kann nur durch zunehmende, wissenschaftliche Erkenntnisse, Präventionsprogramme, die auf unterschiedlichen Ebenen ansetzen, sowie effektive, therapeutische Maßnahmen für Opfer und Täter gewährleistet werden.“

Ein Buch, das mich zwiespältig zurücklässt: Es hat mir einerseits eine deutliche Grenze aufgezeigt – ich kann vieles von dem, was Kindern zustoßen kann, nicht ertragen und will so etwas nicht mehr lesen. Aber es war andererseits hochinteressant, die Fälle der Psychopathinnen so intensiv psychologisch beleuchtet und zu einander in Bezug gesetzt zu lesen. Für wen der letztere Punkt überwiegen könnte, dem sei dieses Buch empfohlen.