Rezension

Pulitzer-Preis für Belletristik 2015

Alles Licht, das wir nicht sehen
von Anthony Doerr

Wieder ein Buch über den 2. Weltkrieg? Ja, und es hat mich gefesselt. Hier geht es nicht um die Judenverfolgung (die wird nur am Rand erwähnt), sondern um die (Un-?)Möglichkeit, auch in Zeiten der Diktatur ein selbstbestimmtes Leben zu führen. 

Werner Hausner ist ein Waise und lebt zusammen mit seiner Schwester in einem Essener Kinderheim. Es ist unausweichlich, dass er mit fünfzehn Jahren als Bergmann einfahren muss, wo sein Vater tödlich verunglückt ist - dabei interessiert sich der begabte Junge doch so sehr für Elektromechanik. Er erhält die Chance, auf eine Napola zu gehen, wo Jungen zu Führungskräften für die Nazis geformt werden sollen. Dabei kann er viel über Technik entdecken und lernen und erlebt Freundschaft, aber auch brutalen Sadismus. Als er seine Schuldigkeit erfüllt und einen Peilsender entwickelt hat, wird er an die Front abgeschoben.

Im zweiten Handlungsstrang begegnen wir Marie-Laure, die als Halbwaise bei ihrem Vater lebt. Mit sechs Jahren erblindet sie, doch ihr Vater lehrt sie anhand eines selbst angefertigten Modells, sich im Stadtviertel zurechtzufinden. Sie verbringt ihre Zeit am Arbeitsplatz des Vaters, dem naturwissenschaftlichen Museum, und interessiert sich besonders für Schnecken; außerdem liest sie Jules Vernes Roman "20.000 Meilen unter dem Meer" in Blindenschrift. Als Paris besetzt wird, flieht ihr Vater mit ihr zu seinem vom 1. Weltkrieg psychisch geschädigten Onkel nach Saint-Malo, und er trägt ein unschätzbares Stück aus dem Museum bei sich.

Die Handlung wechselt in Abschnitten zwischen dem August 1944 und der Vorgeschichte seit 1934; sie endet mit einem Ausblick nach 1974 und 2014. So verfolgt der Leser gleichzeitig die Zuspitzung der Handlung während der Bombardierung von Saint-Malo und die Entwicklung bis dorthin. Er kann sich also von Anfang an ausmalen, wohin das Geschehen wohl führen mag und wie sich die beiden Hauptpersonen wohl begegnen werden. Wie das geschieht, soll nicht verraten werden.

Das Buch hat mich gefesselt: Die Handlung war spannend, nicht nur wegen der Gefahr von außen, sondern auch durch die Entwicklung der Charaktere. Sie sind lebensecht gezeichnet und haben Stärken und Schwächen. Auch die Nebenfiguren sind mit viel Wärme gezeichnet und wurden für mich lebendig. Vom geschichtlichen Aspekt her fand ich die Erziehung in der Napola sehr interessant. Auch die Sprache war sehr angenehm zu lesen.

Ich habe dieses Buch entdeckt, weil es auf der Spiegel Bestsellerliste steht, und erst nach der Lektüre festgestellt, dass es 2015 den Pulitzer-Preis für Belletristik erhalten hat. Da mir dieser Roman so gut gefallen hat, empfehle ich ihn gern weiter und werde die früheren Bücher des Autors auf meine Leseliste setzen.

Kommentare

Naibenak kommentierte am 15. Oktober 2015 um 09:04

Schöne Rezi! Ach ja..., dieses Buch ist schon lange auf meiner Wunschliste und ich werde es unbedingt lesen. Deine Rezi hat diesen Wunsch noch einmal verstärkt :) Danke!