Rezension

Pulverfass Naher Osten

Arabisches Beben - Rainer Hermann

Arabisches Beben
von Rainer Hermann

Bewertet mit 3.5 Sternen

Es fällt mir schwer, den Finger drauf zu legen, weswegen mir dieses Sachbuch weniger zusagte als andere. Dennoch las ich es mit Gewinn, schließlich steckt eine Menge Fachwissen und Recherche im Buch.

Der Autor beleuchtet die Konstellationen und Konflikte im Nahen Osten im Hinblick auf die Vergangenheit, die Gegenwart und wagt einen vorsichtigen Blick in die Zukunft.

Er erkennt die zahlreichen Aufstände des Jahres 2011 im arabischen Raum, unter dem Schlagwort „Arabischer Frühling“ bekannt, als eine Zäsur. Das Vertrauen der Bürger in ihre Regierungen, sowie so nicht auf die Sicherheit eines Rechtsstaats gegründet, ist aufgebraucht.

Einige willkürlich herausgegriffene, beunruhigende Details:
• Fünf Prozent der Weltbevölkerung lebt in der arabischen Welt, doch fünfundvierzig Prozent aller Terroranschläge gehen von ihr aus.
• Keine andere Region der Welt gibt gemessen an ihrer Gesamtwirtschaft so viel für Rüstung aus.
• „Generation Gefängnis“ nennt Hermann die Jugend Ägyptens.
• Eine Ansammlung von mehr als zehn Menschen auf einmal ist z.B. in Ägypten verboten.
• Die demographische Zeitbombe tickt. Das Wasser wird knapp.

Die Lebensbedingungen der Menschen, sofern nicht zu einer privilegierten Oberschicht gehörend, sind so verheerend, dass sie alles daransetzen, woanders hin zu kommen. „Auf die arabische Welt entfallen 5 Prozent der Weltbevölkerung, aber 50 Prozent aller Flüchtlinge, und im Jahre 2015 lebten 143 Millionen Araber in Ländern, in denen Krieg herrschte oder die besetzt waren.“

Der Iran, überwiegend schiitisch, und Saudi-Arabien, überwiegend wahabitisch-sunnitisch, haben ein Grundproblem miteinander, sie konkurrieren um die Hegemonie und gleichzeitig um die religiöse Deutungshoheit des Islam. Saudi-Arabien, seit einiger Zeit auf vorsichtigem Reformkurs, könnte ein Stabilitätsfaktor in der Region werden.

Allgemein: Der Autor vermittelt auf wenigen Seiten enormes Grundwissen. Im Mittelteil wiederholt er sich häufig. Generell schreibt er auch für den Laien verständlich. Die Anhäufung von Nominalgruppen findet man in Sachbüchern oft, man sollte zugunsten einer besseren Lesbarkeit dennoch versuchen, sie häufig aufzulösen.

Fazit: Der Nahe Osten ist ein Pulverfass. Nirgendwo sonst liegen so viele Konfliktherde auf einmal dicht gedrängt zusammen, religiöse, machtpolitische, wirtschaftliche und ethnische.

Kategorie: Sachbuch
Verlag, Klett-Cotta, 2018

Kommentare

Emswashed kommentierte am 25. März 2018 um 09:13

So oft ich versuche durchzublicken, wer da gegen wen ist und um was gekämpft wird, verzweifle ich dann stets am Durcheinander. Letztendlich gehts um Machtansprüche eng verknüpft mit Bodenschätzen (und natürlich Wasser). Die Religion ist nur der Vorwand für die zu lenkende, meist unwissende, Bevölkerung. Tja, shit happens, und geht uns alle an!

 

Steve Kaminski kommentierte am 25. März 2018 um 10:25

Bei der arabischen Welt muss man sich auch vergegenwärtigen, dass der Westen da mächtig mitgemischt hat: Er hat Diktaturen unterstützt (etwa Mubarak) und tut es jetzt noch (Saudi-Arabien; das eine oder andere, was ich gelesen habe, weist eher auf Saudi-Arabien als Destabilisierungsfaktor hin, aber es wird vom Westen hofiert), man hat sich im Irakkrieg falsch verhalten und beim Neuaufbau; was islamistische Gruppierungen betrifft, so haben die USA einst in Afghanistan die Gruppen unterstützt, aus denen bin Laden hervorging, weil sie gegen die Russen kämpften.

"5 Prozent der Weltbevölkerung, aber 50 Prozent aller Flüchtlinge" - ich weiß nicht, ob es solche statistischen Aussagen bringen. Wie viele Menschen sind es denn? Und Flüchtlinge seit wann sind gezählt, in welchem Zeitausschnitt? Seit Jahren - die vielleicht schon irgendwo integriert sind? Oder in der Gegenwart? Im letzten Jahr?

Was die Substantivkonstruktionen betrifft, so könnte da ein wohlmeinendes Lektorat einiges tun - wenn der Autor empfänglich bzw. einsichtig ist.

wandagreen kommentierte am 25. März 2018 um 13:51

Das Buch bezieht sich auf die ganz aktuelle Lage. Mit Saudi-Arabien stand es früher anders ... bevor die Prinzen in ihre Schranken gewiesen wurden. Es ist halt so, dass Prinzen heute nicht mehr gebraucht werden ;-)).

Steve Kaminski kommentierte am 25. März 2018 um 23:18

DIe Prinzen sind aber irgendwo (im Sudan?) an Kriegen maßgeblich beteiligt. Und sind weiter religiöse Hardliner, denke ich.

wandagreen kommentierte am 26. März 2018 um 00:07

Man kann nicht die Prinzen auf der ganzen weiten Welt im Auge behalten, besonders, wenn sie keine Pferde haben. Es geht hier mal nur um saudische Prinzen.

Steve Kaminski kommentierte am 26. März 2018 um 08:46

Es sind die saudischen Prinzen! Allerdings im Jemen, nicht im Sudan.

wandagreen kommentierte am 26. März 2018 um 09:19

Ich weiß nicht, ob man das Buch lesen muss, besonders, wenn man sonst beruflich liest - dann hat man Unterhaltsameres verdient - andererseits hätte man eine bessere Gesprächsgrundlage. Prinzen machen nur einen sehr kleinen Teil der Lektüre aus. Ihre Rechte wurden beschnitten und ihre Pferde wurden beschlagnahmt. So wurden sie recht uninteressant für Kleinmädchenträume.