Rezension

Railroad: Symbiose von Fiktion und Realität

Underground Railroad
von Colson Whitehead

Hier ist kein bequemes, kein schönes Buch entstanden. Sondern eines mit dem Anspruch, hinzusehen und wahrzunehmen.

Das Sklavenmädchen Cora ist auf einer Baumwollfarm in Georgia geboren und unter unsäglich harten Bedingungen aufgewachsen.  Als sich wegen des neuen Besitzers die Situation zuspitzt, wagt sie  gemeinsam mit Caesar die Flucht. Der weiß von einer geheimen Organisation, der Underground Railroad, die Entlaufene in die Freiheit schleust. 

Für das vorliegende Buch hat der Autor Colson Whitehead 2017 den Pulitzerpreis erhalten. Basierend auf Interviews mit ehemaligen Sklaven, angereichert mit fiktiven Elementen und Berichten aus anderen Kontexten, ergibt sich eine Mahnung, wie sie eindringlicher kaum sein könnte.

In leicht sperriger, mit kreativen, manchmal befremdenden Bildern ausgestatteten Sprache führt er den Leser in eine Geschichte ein, die verstört und alarmiert. Verstört, weil die Schilderungen der Lebenswege erschütternde, brutale Sequenzen enthalten, alarmiert, weil man spürt, dass es nicht allein um das betreffende, längst abgeschlossene Kapitel der amerikanischen Vergangenheit geht.

Die Beschreibung der Personen wirkt häufig unterkühlt, emotionsarm,  schonungslos. Oft werden sie in ihren negativen Eigenarten erfasst, wodurch sie sich Identifikationen weitgehend entziehen und immer mehr oder minder außerhalb des Betrachters stehen. 

Sehr deutlich wird, wie abhängig die Sklaven vom Charakter und den Überzeugungen ihrer Besitzer waren. Wie sich von einem zum anderen Moment völlig willkürliche Grausamkeiten über den Menschen ausschüttete. 

So wie der Underground Railroad, die im Roman als reale, unterirdische Bahn dargestellt wird, über die Entlaufene in den Norden fliehen können, begegnen wir auch anderen Metaphern. Die Freiheitsstraße, an der die endlos lange Reihe aufgehängter Menschen ein traumatisches Bild erzeugt, hat nie existiert. Oder doch? Gibt es sie nicht noch immer? Als Symbol für die Opfer vergangener und aktueller Unterdrückung ist sie zeitlos mahnend. 

Die Irritation ist, denke ich, absolut gewollt. Die Verunsicherung durch die Verschmelzung von Fiktion und Realität verhindert dieses Sich-Einrichten in einer Position und sorgt dafür, dass man sich ständig fragt, war das so? ist das so? könnte es so sein? wann? wo? Genau damit wird man als Leser über die spezielle Problematik der Sklavenhalterei hinausgetragen in die Welt, wo allerorten und jederzeit Gräuel geschehen, die angeprangert gehören.

 

Hier ist kein bequemes, kein schönes Buch entstanden. Sondern eines mit dem Anspruch, hinzusehen. Wahrzunehmen. Vielleicht sogar, sich auf einen Prüfstand zu stellen und Antworten zu suchen. Und zwar nicht im vergangenen Amerika, sondern im Hier und Jetzt.