Rezension

Rasantes Romandebüt voller skurrilem Witz, Wärme und tieferer Bedeutung.

Nackt über Berlin
von Axel Ranisch

Bewertet mit 5 Sternen

Zwei Außenseiter schlagen zu. "Nackt über Berlin" ist eine spannende Teenager-Story. In Axel Ranischs Debütroman geht es um eben gesagte zwei Außenseiter, Jannik und Tai, beide 17, von Mitschülern fies Fetti und Fidschi genannt. Der korpulente, musikbegeisterte Jannik ist, zu Beginn nur heimlich, ganz doll verliebt in seinen Freund mit vietnamesischen Wurzeln, der bis kurz vor Schluss des Buches recht rätselhaft daher kommt. 
Eines Abends lässt sich der verträumte Jannik mit in eine Aktion seines Schwarms Tai hineinziehen. Ein Höllentrip für Jannik, der schnell bemerkt, dass Tai seine zarte Verliebtheit nur ausnutzt. Sie lesen ihren sturzbetrunkenen Schulrektor Jens Lambrecht auf der Straße auf und schaffen es, ihn unerkannt in seine Wohnung zu geleiten und schließen ihn dort ein. Was erst wie eine Mutprobe für ein paar Stunden aussieht, entwickelt sich zu einem tagelangen Martyrium. Tais Technik und Hacker Fähigkeiten geben den Schülern Kontrolle über Strom und Wasser in dem Apartment, sie spielen Gott, und sie lassen den zynisch und verlogen gewordenen Ex-Idealisten Lambrecht zu einem Entführten werden, zu einer Geisel in den eigenen vier Wänden. Der Roman spielt in weiten Teilen im 24. Stock eines Luxushochhauses, woher auch der übertragen gemeinte Titel des Romans herrührt, nackt über Berlin ist der gefangene Rektor nach einem Seelenstriptease. 
Die Handlung führt außerdem in die elterliche Wohnung der Protagonisten, zwischendurch auch in Berlins vietnamesische Markthallen des Dong Xuan Center, nach Norddeutschland zur Beerdigung von Janniks Oma und narürlich in die Schule der beiden Teenager. Mal erzählt Jannik aus der Ich-Perspektive, mal als Erzähler. Es geht um ganz große Themen: Liebe, Familie, Freundschaft, Vertrauen, Ehrlichkeit gegenüber anderen und sich selbst. Eine irre Liebesgeschichte zum Einsaugen und zugleich ein ebenso lebendig geschriebenes, humorvolles wie anrührendes Buch. Ranischs Sprache ist präzise bis ins Detail, liest sich dabei aber immer so locker, dass man leicht vergisst, wie schwierig so ein selbstverständlicher Ton hinzubekommen ist. Marzahner Außenseiter-Jungs und die große Liebe. Damit kann jeder Fan von "Tschick" viel anfangen. Im Vergleich zu dessen Roadmovie-Roman mit etwas jüngeren Protagonisten, ist Ranischs liebevolle und schräge Coming-of-Age- und Coming-out-Geschichte vielleicht eine Spur zu krass, weil es im Verlauf um einen kriminellen Akt auf Leben und Tod geht. Auf jeden Fall ein Abenteuer und ein Wechselspiel der Gefühle, für die Protagonisten und für die Leser. Der Autor erzählt und beschreibt seinen Stoff sehr verständlich mit Humor, lustig und voller Überraschung. Macht einfach Spaß! Klein, aber fein... Sehr lesenswert!