Rezension

Rassismus gestern und heute

Geschichte eines Kindes -

Geschichte eines Kindes
von Anna Kim

Bewertet mit 3.5 Sternen

 

Der Roman ist eine Mischung aus erzählter Geschichte und der Wiedergabe von Protokollen des Sozialdienstes der Erzdiözese des Ortes Green Bay, Wisconsin, USA. Die in Wien geborene junge Franziska verbringt 2013 den Winter als writer in residence in Green Bay und mietet ein Zimmer bei Joan Truttman, Ehefrau von Daniel, der nach einem Schlaganfall im Pflegeheim untergebracht ist.

Dieser Daniel, Danny genannt, wird im Juli 1953 in Green Bay als uneheliches Kind der damals zwanzigjährigen Telefonistin Carol geboren. Den Vater gibt die Mutter nicht preis und sie gibt das Kind, zu der sie keinerlei emotionale Beziehung hat, zur Adoption frei. Der Vater des Kindes ist dunkler Hautfarbe, die Mutter weißer Hautfarbe. Und genau hierum geht es in dem Roman: Um Herkunft, um Abstammung von den Eltern und um Beziehung zu  den Eltern, alles unter dem Aspekt der Unterschiedlichkeit der Hautfarben der Eltern und die gesellschaftliche Sichtweise hierauf und deren Einfluss auf das Leben der Beteiligten. 

Das Leben von Danny wird von seiner Geburt an hauptsächlich durch die Wiedergabe der Protokolle des Sozialdienstes der Erzdiözese des Ortes erzählt. Die amtlichen Protokolle, in denen das Kind und seine möglichen Väter anatomisch mit mathematischer Präzision vermessen werden, spiegeln den damaligen Blick der Gesellschaft auf das Problem. Das Kind bleibt in der Obhut der Diözese, bis sich nach langer Zeit endlich eine Pflegefamilie findet. Nach 60 Jahren trifft die Schriftstellerin Franziska zufällig in ihrer Vermieterin in Green Bay  auf die spätere Ehefrau von Danny. Franziska ist ihrerseits Tochter einer Südkoreanerin und eines Österreichers und stellt nach ihrer Rückkehr aus den USA nach Wien weitere Nachforschungen über das Schicksal des Kindes Danny, insbesondere nach seinem Vater, an.

Der Roman verknüpft die Protokolle aus den Jahren ab 1953 mit der aus der Ich-Perspektive erzählten Aufarbeitung des Falles Danny durch Franziska ab 2013. Hierdurch wird der Einfluss des Umgangs der Gesellschaft auf  heute als mixed people bezeichneten Menschen in den fünfziger Jahren und heute beleuchtet.  Auch Franziska hat ein problematisches Verhältnis zu ihrer koreanischen Mutter, wobei fraglich bleibt, ob dies  von der Tatsache herrührt, dass ihre Mutter asiatischer Abstammung ist oder in den Charakteren der Eltern und österreichischen Großeltern begründet ist. Möglicherweise beides. Die Wertung des Romans tendiert eher zu Ersterem. 

Die diskriminierende Behandlung von Danny durch die amerikanische Gesellschaft in den fünfziger Jahren wird durch die Wiedergabe des Leidensweges des Kindes durch die kalte, amtliche Sprache der Protokolle sehr deutlich. Diese Protokolle werden in den fünfziger Jahren von einer ebenfalls aus Österreich stammenden jungen Frau gefertigt, die später nach Österreich zurückkehrt und dort Anthroplogie studiert, heiratet, selbst zwei Kinder bekommt, zu denen kein inniges Verhältnis entsteht. Die leiblichen Mütter, sowohl von Danny als auch von Franziska und sogar der Tochter der Protokollantin werden als kaltherzig und beziehungsunfähig geschildert. Nur die spätere Adoptivmutter von Danny ist eine warmherzige Frau. Das war mir zuviel. Genau wie die Tatsache, dass die Protokollantin später ausgerechnet Anthropologie studiert. 

Dem Roman ist dennoch der Blick auf den erschreckenden Rassismus der fünfziger Jahre gelungen und dessen Auswirkungen auf den Lebensweg von Menschen. Dass die  Diskriminierung von Menschen, aus welchen Gründen auch immer, die Lebenswege von Betroffenen bis in die heutige Zeit prägt, wird deutlich gemacht. Letztlich hat mich der Roman jedoch nicht vollends "gepackt". Das mag an dem Stilmittel der Protokollwiedergaben, die sich mit der m. E. ansprechenderen Erzählweise der jungen Franziska abwechselten, gelegen haben. Ich vergebe 3,5 Sterne.