Rezension

Regt den Leser zum Nachdenken an

Vergiss nicht,  dass wir uns lieben - Barbara Leciejewski

Vergiss nicht, dass wir uns lieben
von Barbara Leciejewski

Wie die beiden Protagnisten wird auch der Leser ohne Vorbereitung in die Geschichte hineingeworfen. Wir wissen nicht, wo wir uns befinden und was passiert ist. Wir wissen nur, dass zwei Menschen, die keine Erinnerungen mehr haben, sich in diesem Wald aufhalten. Im Raum stehen daher zunächst viele Fragezeichen, was durch den Schreibstil verstärkt widergespiegelt wird. Die Protagonisten stellen sich rhetorische Fragen, auf die sie zunächst keine Antworten parat haben. Zusätzlich ist die Schreibart chaotisch - was aber sehr gut passt, weil die Situation nun mal nicht geordnet oder strukturiert ist. Je mehr Zeit vergeht und je mehr sich die Beiden an ihre Situation "gewöhnen", desto flüssiger und zarter wird der Schreibstil.
Die Geschichte wird so erzählt, dass der Leser sowohl die Gedanken von Ihm, als auch von Ihr erfährt. So erlebt man die Geschehnisse aus zwei völlig verschiedenen Perspektiven, die zu meiner Freude überhaupt nicht Klischee belastet ist, was die Geschlechterrollen angeht. 
Es handelt sich um eine Liebesgeschichte mit Spannungselementen. Wobei ich persönlich sagen muss, dass ich zwar interessiert war, wie die Auflösung aussieht, aber wirklich gespannt war ich nicht. Es ist keinesfalls langweilig, aber "spannend wie ein Krimi" würde ich nicht sagen. Trotz dem es eine Liebesgeschichte ist, die natürlich einige Genre typische Klischees bedient - sonst würde es nicht in dieses Genre fallen - finde ich die Idee abwechslungsreich und außergewöhnlich. Kitsch gibt es kaum und wenn, dann wirklich in so geringem Maße, dass es sehr erträglich ist, für diejenigen, die damit normalerweise nichts anfangen können. Wer hier also auf eine vor Schnulz überlaufende Geschichte hofft, wird enttäuscht werden.
Die Geschichte behandelt ein Thema, was man auch aus der Physik kennt. Viele Theorien sind so aufgestellt, dass man sich vorstelle, es gebe keine Reibung und die Elemente befinden sich in einem Vakuum (sofern meine Physikkenntnisse da richtig sind :D). Hier ist es ebenso. Es gibt keine "Reibung" .. Keine äußeren Einflüsse, außer man selbst. Also wer wärst du, wenn du nochmal von vorne anfangen könntest und du von niemandem beeinflusst wirst? 
Es ist sehr interessant zu sehen, wie die Protagonisten auf völlig unterschiedliche Weise mit ihrem Schicksal umgehen und der Leser kommt nicht umhin, sich zu fragen, wie er reagieren würde. 
Und das ist genau das, was mich so fasziniert hat. Der Leser wird zum Nachdenken angeregt. Ob das gewollt ist und diese Reaktion bei jedem auslöst, weiß ich nicht, aber bei mir war es definitiv der Fall. Man betrachtet die Dinge auf einmal aus einer anderen Sichtweise. Zum Beispiel habe ich mich die ganze Zeit gefragt, ob wir die gleichen Routinen hätten, wie vorher, wenn wir diese nicht wissen würden und neu beginnen könnten. Eine wirklich sehr interessante Thematik. 

"Vergiss nicht, dass wir uns lieben" ist eine Kurzgeschichte, die nicht viel Platz für Ausschmückungen lässt, was ich mir an manchen Stellen vielleicht gewünscht hätte, weil der Verlauf der Geschichte doch sehr schnell voranschreitet. Trotzdem wirkt es nicht gehetzt oder erzwungen und findet sich am Ende alles schlüssig zusammen. Zwar sind die Geschehnisse konstruiert und überspitzt, sind aber dennoch so realistisch, wie nun eben möglich, gestaltet. 
Mir hat besonders gefallen, dass die Idee mich zum Nachdenken gebracht hat und mich noch nach dem Lesen beschäftigt. 
Nichtsdestotrotz war es mir insgesamt etwas zu kurz und spartanisch, sodass die Emotionen sich nicht übertragen konnten und leider auch die erhoffte Spannung verloren gegangen ist.
Das schreibe ich allerdings komplett der Kürze zu und nicht dem Schreibstil, denn der ist wirklich angenehm und vor allem bildhaft. 
Es ist eine kleine Geschichte für Zwischendurch, mit einer außergewöhnlichen Idee, die mir vorher noch nie so begegnet ist.