Rezension

Regt zum Nachdenken an

Das Licht der letzten Tage - Emily St. John Mandel

Das Licht der letzten Tage
von Emily St. John Mandel

Bewertet mit 4.5 Sternen

Es war vorbei mit den sozialen Netzwerken, es war vorbei damit, sich durch Litaneien von Träumen und nervösen Hoffnungen und Essensfotos zu scrollen, durch Hilfeschreie und Bekundungen von Zufriedenheit und Updates des Beziehungsstatus, mit ganzen oder zerbrochenen Herzchen daneben, mit Plänen für spätere Treffen, Bitten, Beschwerden, Wünschen. Es war vorbei damit, die Leben anderer zu lesen und zu kommentieren und sich ein klein bisschen weniger einsam zu fühlen." 

Worum es geht: 

Jeevan hätte nie gedacht, dass ein Theaterbesuch sein Leben verändern würde. Auf der Bühne stirbt King Lear, wortwörtlich. Nach dem Tod des Schauspielers Arthur Leander geht die Welt unter. Eine Epidemie bricht aus, niemand ist vor der georgischen Grippe sicher. 99% der Menschheit stirbt und damit das Leben wie wir es kennen. 
20 Jahre später reist eine Wandertheatergruppe umher und führt Shakespeare auf. Denn die Menschen wollen sich an das Beste erinnern, das Beste von früher. Und egal wie aussichtslos das Leben auch scheinen mag, die Hoffnung stirbt nicht.   

"Aber im Grunde nicht so viel Kriminalität, wie man erwarten würde" sagte Jenny. "Es gibt einfach nicht mehr so viele Menschen." 
"Sind sie gegangen oder sind sie alle...?"
"Wenn du dich angesteckt hast" sagte Ben, "warst du innerhalb von achtundvierzig Stunden tot."

Meine Meinung: 

Seit 2015 lag das Buch bei mir Zuhause rum. Die englische Ausgabe hatte damals schon überragende Kritiken erhalten und ich hatte es immer wieder auf dem Schirm allerdings nie die passende Laune. Nun soll es soweit sein. Als Hörbuch habe ich es diesmal versucht und war bereits nach 20 Minuten so angefixt, dass ich meine Arbeit verflucht habe. Was fällt dem Chef ein, mich abzulenken?! ;-) 
Eine Epidemie bricht aus, und die Menschheit stirbt. Was für Auswirkungen das hat, beschreibt St.John Mandel bis ins kleinste Detail. Wusstest du das Benzin nach 3 Jahren unbrauchbar wird? 
Der Leser bekommt verschiedene Zeitebenen; Einmal Jeevan im "Jetzt", Arthur, der Schauspieler ein paar Jahre vor der Epidemie und Kristin eine Schauspielerin der Theatergruppe 20 Jahre in der Zukunft. Jeevan gefiel mir am besten, wobei ich die Beschreibungen der Zukunft bevorzugte. Hier hatte sich die Autorin wirklich Gedanken gemacht. Kein Thriller oder viel Aktion, aber dafür Zuversicht, Überlebenskampf und wie wichtig Literatur, Musik und Theater für die menschliche Psyche ist. Was Angst macht ist der Realismus des Szenarios und das Wissen wie wahrscheinlich so eine Grippe unser Untergang sein könnte.
Egal in welcher Ebener der Leser sich befindet, immer wird er mit der Frage konfrontiert ob das, was man gerade macht, einen wirklich befriedigt. Jeevan hinterfragt alle seine Arbeitsplätze, allen voran seine ursprüngliche Tätigkeit als Paparazzi. Erst nach dem Tod von Arthur Leander, dem Schauspieler, dessen Leben seines am häufigsten kreuzte, wird ihm seine Berufung bewusst. 2 Tage vor der Epidemie und dem damit einhergehendem Untergang der Welt.
Arthur Leander leidet ebenfalls unter seiner Berufung. Er weiss, dass er nicht nörgeln sollte, gehe es ihm doch besser als den Meisten, wollte er ja immer berühmt werden, dennoch kommt er nicht umhin nach etwas realem zu suchen. Sein Freund Clark beschreibt sein eigenes Leiden als Zombie seines Lebens. Wie ein Schlafwandler wird einfach verrichtet was von einem erwartet wird, ohne wirklich anwesend zu sein. Arthur hingegen schauspielert sich durch sein Leben. 
Kristin schauspielert auch durch ihr Leben, allerdings könnte sie sich niemals ein anderes Leben vorstellen. Bewegt von dem Wunsch Shakespeare aufzuführen, Menschen in eine Scheinwelt zu entführen erfüllt sie. Sie hat ihren Sinn gefunden und dafür die ganze frühere Welt verloren.
Die Bandbreite der Figuren war außerordentlich. Schön einmal zu lesen wie es den Normalos nach dem Weltuntergang geht. Jeevan wird von seinem Bruder gefragt, was es bringt das Haus zu verlassen, wohin denn? "Keine Ahnung, zu einem Bauernhof?" Die Antwort darauf, Jeevan kenne sich weder mit Landwirtschaft noch mit Viehzucht aus und werde eher am Straßenrand sterben, fand ich sehr erfrischend. Das Buch hat mich sehr nachdenklich gestimmt. Den Wunsch in mir entfacht mehr zu erlernen, was nützlich sein könnte im Fall der Fälle. Könnt ich überhaupt ein Feuer erzeugen, ohne Hilfsmittel?   
Während die meisten apokalyptischen Bücher aufzeigen welche Monster Menschen sind und sich gegenseitig abschlachten um die Oberhand zu haben, zeigt Emily St John Mandel wie zart Menschen sind und auch nach dem Untergang der Welt noch das Schöne suchen und versuchen das Beste aus der Situation zu machen. Ausschau halten nach dem Hoffnungsschimmer am Horizont. Grosse Empfehlung! 

"Die Hölle ist die Abwesenheit von Menschen, nach denen man sich sehnt."