Rezension

Reicht in keinster Weise an ihren Erstling heran

Du stirbst nicht allein - Tammy Cohen

Du stirbst nicht allein
von Tammy Cohen

Nachdem mich Während du stirbst durch die völlig überraschende 180°C-Wende im zweiten Teil des Buches so begeistert hat, war ich neugierig auf Tammy Cohens neues Werk, obwohl mich der Thriller thematisch (Kindesermordung) nicht so hundertprozentig angesprochen hat. Vielleicht hätte mir das schon eine Warnung sein sollen.

Ich weiß, dass ich im Moment recht kritisch bin, was Thriller - vor allem Psychothriller - angeht, weil ich oft der Meinung bin, dass die Geschichten diese Betitelung nicht verdient haben. Wenn einer Geschichte jeglicher Thrill, jeglicher Nervenkitzel fehlt, dann ist es für mich auch kein Thriller. Von allen sogenannten (Psycho-)Thrillern, die ich in den letzten Wochen gelesen habe, war aber keiner so langweilig wie Du stirbst nicht allein.

"Wenn man nicht da bleiben musste, wo sich alle paar Monate irgendetwas jährte oder ein geburtstag anstand, anlässlich dessen alles wieder aufgewühlt wurde, wenn man nicht für immer Mutter oder Bruder von Tragic Girl sein musste, warum sollte man es dann allen Ernstes tun?"
(Seite 126)

Von der Erzählstruktur her scheint Tammy Cohen sich ein wenig an Paula Hawkins Into the Water orientiert zu haben, denn auch hier gibt es unfassbar viele Erzählstimmen. Zu viele, für meinen Geschmack, und die ohnehin kaum vorhandene Spannung leidet unter den vielen, verwirrenden, zähen Perspektivenwechseln. Es erzählen nicht nur die ermittelnden Polizisten und vielleicht eine involvierte Mutter, es kommen gleich alle möglichen Angehörigen der früheren und aktuellen Opfer zu Wort, dazu eine Journalistin und ein Verdächtiger. Klar, die Kriminalfälle gehen unter die Haut, wie immer, wenn Kinder involviert sind, und es ist tragisch, was die Angehörigen durchlitten haben. Aber Spannung wird dadurch keine aufgebaut, auch, weil stets eine gewisse Distanz zu den Figuren bestehen bleibt. Sei es nun Emma oder Rory oder Leanne, keiner von ihnen ist in meinem Kopf lebendig geworden, keiner ging mir unter die Haut. Da war keine Figur, dessen Schicksal mich wirklich interessiert hat und mit der ich mitgefiebert habe.

"Sie war also angemessen dankbar gewesen, hatte ihr gutes Karma hinaus ins Universum geschleudert und sich für all die Segnungen, die ihr widerfuhren, ordentlich bedankt. Und was hatte sie dafür bekommen? Nichts als einen ganzen Haufen Probleme."
(Seite 106)

Du stirbst nicht allein nennt sich selbst Psychothriller, aber davon habe ich leider nichts gemerkt. Im Fokus der Geschichte stehen auch gar nicht so sehr die Ermittlungen im aktuellen Mordfalls, sondern vielmehr das Privatleben der Figuren. Sei es nun der Bruder eines Opfers oder Ermittlerin Leanne selbst, die meiste Zeit über geht es um private Wehwechen. Diese negative Einstellung hat vielleicht auch dazu beigetragen, dass mir keine der Figuren sympathisch war. Klar, von den trauernden Angehörigen habe ich keine Fröhlichkeit erwartet, aber von Sally und Leanne irgendwie schon. Oder zumindest mehr Professionalität. Die Figuren sollen so wohl menschlicher wirken, aber für mich hat das nur dazu geführt, dass sie mich genervt haben.

"[Sally] hatte schon jetzt einen Scheißtag, und es war gerade einmal zehn Uhr. Für eine Zigarette hätte sie töten können. 'Ich bin Nichtraucherin', erinnerte sie sich und versuchte, sich an den genauen Wortlaut dessen zu erinnern, was Sebastian, der Hypnosetherapeut, gesagt hatte. [...] Es klappte nicht."
(Seite 29)

Auch die Auflösung am Ende konnte leider nichts mehr herausreißen, ganz im Gegenteil, sie hat meinen negativen Eindruck dieses zweiten Werkes nur noch mal verstärkt. Du stirbst nicht allein reicht in keiner Weise an ihren Erstling heran und hat mich durch und durch enttäuscht. Ab jetzt kann es nur wieder besser werden.

(c) Books and Biscuit