Rezension

Reicht nicht an das erste Buch des Autors heran

Mit jedem Jahr - Simon van Booy

Mit jedem Jahr
von Simon Van Booy

Bewertet mit 3 Sternen

Die Herausforderung eines ungeplanten Familienlebens

„Aber sein eigenes Scheitern erschien ihm allzu nah an dem ihres Vaters. Und alle Beziehungen, an denen er sich je versucht hatte, lagen zerschellt vor seinen Füßen wie die Splitter eines zerbrochenen Spiegels.“

Inhalt

Nach dem tragischen Unfalltod seines Bruders und dessen Frau, stellt sich für Jason die elementare Frage, ob er sich seiner 6-jährigen Nichte Harvey annehmen möchte, oder ob sie in eine fremde Pflegefamilie kommen soll. Er entschließt sich, die Verantwortung für das kleine Mädchen zu übernehmen und versucht, zum ersten Mal in seinem Leben, sich der Herausforderung zu stellen, einen bewussten Lebensweg einzuschlagen. Während er bisher zwischen Desinteresse, unbändiger Wut, Alkoholmissbrauch und einer alltäglichen Antihaltung schwankte, konzentriert er sich nun auf die Anforderungen, die ein Kind mit sich bringt. Mit jedem Jahr, welches die beiden gemeinsam verbringen, wächst sein Vertrauen in sich selbst und in die unerschütterliche Liebe seiner Tochter, die zunächst ganz unbefangen und unschuldig mit seinen Charakterschwächen umgeht und der es sogar gelingt, ihren Vater zum Positiven zu beeinflussen.

Meinung

Dies ist bereits mein zweiter Roman des britischen Autors Simon van Booy, der mich mit seinem Roman „Die Illusion des Getrenntseins“ von seinem schriftstellerischen Können überzeugen konnte. Allein deshalb waren meine Erwartungen an die Erzählung über einen Vater wider Willen und seine angenommene Tochter sehr hoch. Ich habe mir eine philosophische, berührende Geschichte versprochen, die zeigt, wie differenziert der Mensch auftreten kann und welcher Lebensweg vorgegeben, welcher selbst gewählt ist. Leider konnte mich „Mit jedem Jahr“ nicht wirklich fesseln und auch nicht gänzlich überzeugen, weil van Booy hier an der Oberfläche kratzt, keine wirklichen Emotionen schürt und seine Protagonisten sehr alltäglich und vorhersehbar agieren lässt.

Die Zutaten für den vorliegenden Roman sind denkbar einfach und doch von immenser Stärke: ein kleines Mädchen, ein Antiheld, der keinen Lebensplan verfolgt und die Dauer von reichlich 10 Jahren, die genau jene Veränderungen bewirkt, die sich der Leser erhofft.

Mit Hilfe diverser Zeitsprünge versucht der Autor, zwei Perspektiven anschaulich zu präsentieren. Einmal eine Zeit, in der Jason, an seine Grenzen gerät, weil er nicht genau weiß, wie er mit einem Kind umgehen soll und dann an die Gegenwart, in der wir einem Treffen zwischen Vater und Tochter folgen dürfen, in dem sich die erwachsene Harvey erinnert und bedankt für all die schönen, unvergleichlichen Momente, die ihr Vater ihr geschenkt hat. Doch die Zeitsprünge erfolgen relativ ungeordnet und unterbrechen sogar den ein oder anderen schönen Erzähltext, so dass man sich als Leser wieder erinnern muss, was eigentlich gerade der Schwerpunkt des Erzählten war.

Darüber hinaus bleiben auch die Protagonisten etwas blass, denn ihre Charaktereigenschaften erschließen sich lediglich aus ihren Handlungen, nicht über Reflexionen ihrer Gedanken. Der Leser erfährt nicht, warum Jason seinen Sinneswandel vollzieht, warum er plötzlich alles für seine angenommene Tochter aufs Spiel setzt. Und obwohl man weiß, dass es sich dabei um Vaterliebe handelt, wird nicht erörtert, wie es sich anfühlt, vom wutgeprägten Rowdy zum treusorgenden Mann zu werden.

Fazit

Ich vergebe 3 Lesesterne für diese Familiengeschichte, die durchaus realistisch und ansprechend gestaltet wurde, allerdings etwas seicht und nur allzu normal wirkt.

Diesem Roman fehlt es an Dingen, über die der Leser nachdenken möchte. Man bekommt vieles bereits präsentiert und kann es annehmen oder ignorieren, wird aber nicht in das Geschehen involviert. Ich empfehle die Lektüre eher für Zwischendurch, für Lesestunden in denen man abschalten und sich entspannen möchte, mit Worten, die an das Gute im Menschen erinnern und an die Kraft des eigenen Willens.