Rezension

Retired-Husband-Syndrome

Herr Kato spielt Familie
von Milena Michiko Flasar

„Manchmal ertappt er sich dabei, sehr traurige Gedanken zu denken. Zum Beispiel dass das Leben, sein Leben, immer weniger würde.“ Ein Mann, „Herr  Katō“ genannt, hat das Gefühl, nach einem arbeitsreichen Leben keine sinnvolle Aufgabe mehr zu haben. All die Pläne für sich und seine Frau, die er eigentlich in der Zeit nach seiner Pensionierung realisieren wollte, schiebt er vor sich her. In seiner Familie fühlt er sich wie ein Fremdkörper, es fällt ihm schwer, sich neu zu integrieren und auf seine Frau zuzugehen. Eines Tages begegnet er einer ungewöhnlichen jungen Frau, die ihm ihrerseits einen ungewöhnlichen Vorschlag macht…

In ruhigen, gemächlichen Tönen entrollt Milena Michiko Flašar die Gedankenwelt eines japanischen Rentners. Detailliert beobachtet, gibt sie seine Sicht auf die Welt, seine Träume und Hoffnungen wieder  -  und die Realität. Wie soll er sein weiteres, restliches Leben gestalten? „Retired-Husband-Syndrome“ wird das Problem genannt, unter dem er und seine Frau leiden, und das ist natürlich nicht allein auf Japan beschränkt.

Mit viel Einfühlungsvermögen gestaltet die Autorin die Charaktere ihrer Personen und lässt sie lebendig und echt erscheinen. Der überwiegend melancholische Grundton des Romans wird immer wieder durch doppeldeutige oder ironische Bemerkungen durchbrochen, die optimistische Klänge einfließen und den Leser schmunzeln  lassen. Dass einige Gedankengänge nur halb oder gar nicht ausgesprochen werden, passt zu Herrn Katōs Wesen und seiner Art, mit Problemen umzugehen. Der Ausgang der Geschichte lässt den Leser eher nachdenklich als deprimiert zurück. Es bleibt offen, ob es für Katō und seine Familie eine Chance auf ein neues Arrangement gibt; ob er sich mit der Frage auseinandersetzt, die Flašar als Zitat an den Anfang ihres Romans stellt, und das sie folgendermaßen übersetzt:

„Wie war doch gleich die Zukunft, die ich mir erträumt hatte? Lebwohl, mein gestriges Ich….“