Rezension

Rezension: „Becks letzter Sommer“ von Benedict Wells

Becks letzter Sommer - Benedict Wells

Becks letzter Sommer
von Benedict Wells

Zum Inhalt: Robert Beck ist 37 Jahre alt und Lehrer am Georg-Büchner-Gymnasium in München, demselben Gymnasium, das er selbst als Schüler besuchte und an dem schon seit Vater unterrichtete. Sein Leben ist das Gegenteil von dem, das er jemals hatte führen wollen. Während er noch vor Jahren seinen Lebensunterhalt als Musiker in einer Band finanzierte, ist dieser Traum nach seinem Rausschmiss aus der Band jäh geplatzt und er weiß selbst nicht, wie er in dieses langweilige Leben inclusive ihm verhassten Lehrerjob hineingeraten konnte Mit 37 Jahren steckt Beck in einer Sackgasse, fühlt sich fremd in seinem eigenen Leben.
„Er hatte ohnehin das Gefühl, noch immer in den Zwanzigern zu stecken – der älteste Twen der Welt. Er war nicht siebenunddreißig, sondern siebzehnundzwanzig.“ (S. 69)
Seine einzige Verbindung zu seiner Vergangenheit als Musiker besteht in seinem besten Freund und ehemaligen Band-Kollegen Charlie. Charlie, ein hühnenhafter, hypochondrisch veranlagter Schwarzer mit Hang zur Selbstdarstellung hat jedoch jede Menge eigene Probleme, die schließlich durch die Tür einer psychiatrischen Klinik führen.

Als Beck in seinem stillen, aus Litauen stammenden Schüler Rauli ein wahres Ausnahmetalent an der Gitarre entdeckt, schöpft Beck neue Hoffnung, die Musik und die Inspiration zurück in sein Leben holen zu können.
„Denn dieser Junge und seine Begabung waren vielleicht genau das, was er all die letzten Jahre vergeblich gesucht hatte: gottverdammte, wahre Inspiration und der Weg raus aus den miefigen Räumen des Gymnasiums, zurück auf die Bühnen der Welt.“ (S. 26)
Raulis Musik verzaubert Menschen innerhalb von Sekunden, doch Rauli selbst bleibt rätselhaft, verschlossen, schwer zugänglich. Und Rauli scheint wenig Interesse daran zu haben, anderen zu erklären, wer er ist.
„Es lag wohl einfach an der unschuldigen Art, mit der Rauli seine Geschichten erfand. Er erzählte sie so, dass man sie glauben wollte. Es war wie Magie, wie kunstvolle Verführung. Raulis Lügen hatten die längsten Beine der Welt.“ (S. 95)
Es entwickelt sich eine temporeiche Geschichte, in der Beck, sein Schüler Rauli und Charlie, der sich gerade selbst aus der Psychiatrie entlassen hat, in Charlies klapprigem Auto einen Roadtrip durch Osteuropa, von München über Wien, Budapest und Bukarest bis nach Istanbul unternehmen, um Charlie zu seiner Mutter zu begleiten. Auf den sommerlichen Straßen Osteuropas ist Beck auf der Suche nach der verlorenen Musik in seinem Leben, Rauli auf der Suche nach Abenteuern und dem Erwachsenwerden und Charlie auf der Suche nach dem Leben selbst…

Eigene Meinung: Eine Geschichte, die einen von der ersten bis zur letzten Seite mitnimmt, in flottem Tempo erzählt und dabei mit so viel mehr Tiefgang, als man bei einigen oft so schnoddrig erzählten Passagen erwarten würde – dies fasst meine Eindrücke zum Erstlingswerk des noch so jungen Autoren Benedict Wells am besten zusammen. Immer wieder musste ich mir beim Lesen des ca. 460 Seiten langen Romans vor Augen halten, dass der Autor beim Verfassen dieses Werks erst 23, bzw. 24 Jahre bei Erscheinen des Romans war. Wow! Es zeugt wohl von einem unglaublich aufmerksamen und verständigen Blickwinkel auf die Menschen, wenn ein so junger Mensch die Lebens- und Sinnkrise seines beinahe doppelt so alten Protagonisten so lebensecht und glaubhaft erzählen kann.

Die Hauptfigur Robert Beck weiß genau, was in ihrem Leben schief gegangen ist – er ist unfähig, sich auf ernsthafte Beziehungen einzulassen, und geht, seitdem sein großer Traum vom professionellen Musiker-Dasein geplatzt ist, stets den Weg des geringsten Widerstands. Nur so ist es zu erklären, dass der Job als Lehrer, den er aus tiefstem Herzen verabscheut, das Einzige in seinem Leben ist, was er wirklich über einen längeren Zeitraum durchgehalten hat. Es ist halt bequem. Und den Glauben daran, dass sich sein Leben nochmal wenden könnte, hat er sowieso aufgegeben. „Wenn ich dumm wäre, dann wäre es mir vermutlich egal, aber so muss ich ständig daran denken, dass ich nie etwas Tolles schaffen kann. Ich bin zu dumm für die Klugen und zu klug für die Dummen.“ (S. 204). Doch insgeheim weiß er, dass er sein Leben verschwendet und sich selbst die Chance aufs Glücklichsein nimmt, allein das zu ändern gelingt ihm sein Jahren nicht.
Während die erste Hälfte des Buchs noch von locker-leicht erzählter Rahmenhandlung lebt und die Basis für den Roadtrip der drei so unterschiedlichen Personen legt, geht es jedoch in der zweiten Hälfte ans Eingemachte. Sowohl Beck als auch Charlie müssen sich ihren Dämonen stellen, und der zuvor oft noch so kindlich wirkende Rauli wird in diesem Sommer erwachsen.
Becks Dämonen begegnen ihm im Drogenrausch in einer Kneipe „im Vorhof zur Hölle“ in Form von Bob Dylan, zeitlebens da musikalische Idol seines Vaters. In obskure Szenen verpackt der Autor so wunderbare Wahrheiten, die den Kern der Dinge und die handelnden Figuren bis ins Mark treffen: „Die Welt ist für die Mutigen gemacht, der Rest schwimmt nur mit, die meisten gehen dabei unter. Die Frage ist also: Sind Sie wenigstens ein guter Schwimmer? Denn das müssen Sie sein, wenn Sie keine Entscheidungen treffen wollen.“ (S. 333).
Schwimmen oder Untergehen – vor dieser Frage kann Beck nicht länger davon laufen, das ist ihm klar, als er nach diesen sechs Tagen im Sommer auf den Straßen Osteuropas wieder zu Hause ankommt.

Gut gefallen hat mir auch die Aufteilung des Buches – sie ist in A- und B-Seite mit jeweils drei, bzw. vier „Tracks“ incl. Interlude und Bonustrack unterteilt. Die Aufteilung in zumeist sehr kurze Kapitel führte neben dem erwähnten lockeren Schreibstil zu einem sehr angenehmen und flüssigen Lesen. Jeder der Tracks trägt den Titel eine Bob Dylan Songs – und wenn man sich diese parallel anhört, ergänzen sie die Stimmung im Buch ganz wunderbar!