Rezension

Rocko Schamoni: „Dorfpunks“

Dorfpunks Schamoni, Rocko

Dorfpunks
von Rocko Schamoni

Tobias Albrecht schneidet seine Haare mit der Nagelschere kurz und stylt sie mit Bier, stülpt Bundeswehrstiefel über seine Füße, motzt sein Mofa auf und hört die Sex Pistols – kurz: er wird SH-Punk. Auf der Suche nach Individualität geht es ihm nicht darum, sich selbst zu finden. Er erfindet eine Person, die er sein will. Bis er neunzehn ist, heißt er Roddy Dangerblood, erst dann gibt er sich selbst den Namen, bei dem er bis heute blieb und mit dem er im Theater, beim Film und in der Musik erfolgreich wurde und mittlerweile drei Bücher veröffentlichte: Rocko Schamoni. Als in den 1970er Jahren Punk in London als eine rebellische Jugendbewegung entstand, blieb auch Deutschland davon nicht unberührt. Das unangepasste Verhalten, die provozierenden Klamotten und das nonkonformistische Auftreten beeindruckten viele gelangweilte Teenager und wurde mit Begeisterung aufgenommen.

Der Autor gibt in seinem Buch „Dorfpunks“ Geschichten aus seinem Leben zum Besten. Er erinnert sich an seine Jugend und gibt Einblick in das Leben eines Teenagers, der auf die Welle der Rebellion aufspringt, um nicht der Spießbürgerlichkeit der Dorfbewohner zum Opfer zu fallen, und bis heute, über zwanzig Jahre später, noch nicht abgesprungen ist.

Nach dem Umzug seiner Familie von Hamburg in eine Kleinstadt an der Ostsee muss sich der junge Tobias Albrecht bewähren und Respekt verschaffen. Er tritt ein in eine Welt, die von Langeweile und Gewalt beherrscht wird, und wird Teil von ihr. Die Unzufriedenheit der Jugendlichen bietet den perfekten Nährboden für aufsässige Trends. Doch der bei dem Thema mögliche Ernst bleibt aus. Die Anekdoten spiegeln den Versuch eines Jungen wieder, sich im Zuge seiner Pubertät von der Gesellschaft abzugrenzen und sein ödes Dasein aufzuwerten. Die Naivität, die er dabei an den Tag legt, gibt dem Buch die nötige Würze und verleiht den Geschichten ihren amüsanten Charakter. Nachts seilt er sich heimlich aus dem Fenster des ersten Stocks, um zur örtlichen Disco Schröder zu fahren. Am nächsten Morgen wird er dann von seiner wütenden Mutter nach draußen gezerrt, die ihm seine Schuhabdrücke an der weiß gestrichenen Außenfassade zeigt. Bei seinem ersten Londonaufenhalt verwechselt er englische Skinheads mit Punks und versucht vergeblich mit ihnen Freundschaft zu schließen. Und bei seinen nächtlichen Ausreißaktionen fährt er mit seiner ohrenbetäubenden Maschine ohne Licht durch die Dorfstraßen, um nicht aufzufallen. Schließlich findet er in der Musik nicht nur Vorbilder, sondern begreift sie selbst als Medium und gründet seine erste Band Warhead. Sowohl die Episoden über Alkohol- und Drogenexperimente und die ersten sexuellen Erfahrungen mit Mädchen als auch die Erlebnisse in seiner Töpferausbildung und mit den brutalen Nachbarn werden durchgängig von einem spöttischen Unterton begleitet.

Schamoni versucht sich nicht an großer wortgewaltiger Literatur. Seine Sprache bleibt einfach, der Stil flach und teilweise bedient er sich an abgegriffenen Floskeln. Auch liegt ihm nichts daran, nach möglichen Ursachen für das Gewaltpotential der jungen Generation der Kleinstadtbewohner zu forschen oder Erklärungsmuster für sein subversives Verhalten aufzudecken. Nach tiefschürfenden Passagen, die Einblick in die Gedankenwelt des eigenwilligen Punks geben, sucht man vergebens. Die biographischen Geschichten berühren sein Leben nur an der Oberfläche und bleiben fast banal. Dennoch gelingt Schamoni durch seinen trockenen Humor und der interessanten Gestaltung der verschiedenen Charaktere eine unterhaltsame Schilderung seiner Jugendzeit als Punk.