Rezension

Römische Dekadenz im Nordamerika der Zukunft

Die Tribute von Panem 1. Tödliche Spiele - Suzanne Collins

Die Tribute von Panem 1. Tödliche Spiele
von Suzanne Collins

„Die Tribute von Panem - Tödliche Spiele“ ist der furiose Auftakt der dystopisch angehauchten Trilogie von Suzanne Collins. Die Autorin entführt uns in eine Welt ohne Mitgefühl, eine Welt, die auf erschreckende Weise fast Spiegelbild unserer Zeit zu sein scheint. Als Inspiration dienten Suzanne Collins unter anderem heutige TV-Shows, Konflikte in der ganzen Welt und auch die Gladiatorenkämpfe der Antike in der verfallenden spätrömischen Gesellschaft.

Schauplatz ist das Land Panem mit seinen alljährlich stattfindenden ‚Hungerspielen‘. Zum einen dienen diese dem über die Distrikte herrschenden Kapitol seine allumfassende Macht zu unterstreichen und das Volk weiter zu demütigen und unterdrücken. Zum anderen will die Regierung seine Elite, die Kapitolbewohner, in ihrer moralischen Perversion, ihrem Hunger nach Gewalt, ihrem Medienhype und ihrer Sensationslust befriedigen, denn die ‚Hungerspiele‘ sind ein in jedes Fernsehgerät des Landes übertragener Gladiatorenkampf der Moderne, der zur Unterhaltung und Bespaßung dient.

Aus jedem der zwölf Distrikte werden als Tribut je ein Junge und ein Mädchen ausgelost, die sich dem blutrünstigen Wettstreit stellen müssen. Von insgesamt 24 Teilnehmern darf nur ein einziger überleben. Die Jugendlichen werden in eine Arena gesteckt und gezwungen einander zu töten - vor laufenden Kameras. Dazu kommen noch die natürlichen Bedingungen der Arena - die manipuliert sind, nichts wird in der Arena dem Zufall überlassen - wie Kälte, Hitze, wenig Nahrung und kein Wasser. Und droht die Fernsehshow, die im Kapitol als Fest gefeiert wird und in den Distrikten Pflichtprogramm ist - man kann sogar Wetten abschließen - mal langweilig zu werden, helfen die Spielmacher mit ihren eigenen sadistischen Methoden nach.

„Die näher kommenden Flammen sind von unnatürlicher Höhe und Gleichförmigkeit, und das verrät, dass sie menschengemacht sind, maschinengemacht, von den Spielmachern gemacht. War wohl zu ruhig heute. Keine Todesfälle, vielleicht nicht mal ein Kampf. Den Zuschauern im Kapitol könnte langweilig werden, sie könnten auf die Idee kommen, diese Spiele seien fad. Und das dürfen die Spiele auf gar keinen Fall werden.“

Das Ganze wird aus der Sicht der 16-jährigen Katniss geschildert, dem weiblichen Tribut aus Distrikt 12. Sie erzählt von unfassbarer Ungerechtigkeit: Haben die Menschen in ihrem Distrikt tagtäglich am Hungertuch zu nagen, leben die Menschen im High-Tech-Kapitol geradezu in dekadentem Überfluss. Sie haben den ganzen Tag nichts weiter zu tun, als zu fressen, sich um ihr Aussehen zu kümmern, sich affektiert zu benehmen und ihren widerwärtigen Blutdurst vorm Bildschirm zu stillen. Der Sieger wird letztendlich als Held verehrt und mit Reichtum überschüttet, während die unzähligen Tode die Menschen dort geradezu kalt lassen.

Der Stoff ist hart, drastisch und er ist krass und oftmals hat es mich ob des ekelhaften und widerlichen Verhaltens der Kapitolbewohner vor Wut geschüttelt. Das Buch rüttelt einen im wahrsten Sinne des Wortes auf. Und ich finde, das ist es, was ein wirklich gutes Buch ausmacht. Ein Buch, das einen zum Nachdenken anregt, etwas in einem auslöst und das einen lange nicht mehr loslässt.

Katniss‘ Erzählstil ist eher trocken, teilweise sarkastisch, schroff, karg und berechnend, aber dadurch so realistisch. In anderen Büchern würde ich diese Sprache wahrscheinlich als Minuspunkt werten, aber in diesem Kontext… Ich erwarte keine Gefühlsduselei und Poetik im Angesicht des Todes, wobei das auch überhaupt nicht zu der Person Katniss passen würde, die immer wieder betont, dass sie nicht gut über ihre Gefühle sprechen kann und außerdem ist sie in einer unbarmherzigen Welt aufgewachsen. Katniss ist eine beeindruckend starke Persönlichkeit, die schon früh gelernt hat, was es heißt zu überleben.

Katniss ist intelligent, sie erkennt sofort, wie sie besonders viele Sponsoren für sich einnehmen kann: In dem sie dem nach einer schnulzigen Liebesgeschichte heischenden Publikum ihre Liebe zu Peeta, ihrem Mittribut, vorspielt. Katniss mag teilweise gefühlskalt wirken, aber sie ist gleichzeitig auch sehr fürsorglich: wie sie sich freiwillig an ihrer Schwester statt als Tribut meldet, wie sie ein Bündnis mit Rue eingeht und wie sie sich um Peeta kümmert. Ihr gelingt es, so unwahrscheinlich es klingen mag, ein wenig Mitleid, Freundschaft, Hoffnung und Liebe in die düsteren und schrecklichen ‚Hungerspiele‘ zu bringen. Das merkt man auch an ihrer Einstellung dem Töten gegenüber, in einer Welt, in der ein Menschenleben eigentlich nichts zählt.

„Ich habe einen Jungen getötet, von dem ich nicht mal den Namen weiß. Irgendwo weint jetzt seine Familie um ihn. Seine Freunde wollen mein Blut sehen. Vielleicht hatte er eine Freundin, die fest daran geglaubt hat, er würde zurückkommen ...“

Alle Tribute sind verzweifelte Geschöpfe, die vom Kapitol zu Tätern gemacht werden, die ganze Zeit über jedoch immer die Opfer sind. Auch die „Karrieretribute“, die Schoßhündchen des Kapitols, die von klein auf zu Killermaschinen getrimmt werden und sich dann freiwillig und geradezu freudig als Tribut melden, sind eigentlich nur zu bemitleiden.

Der Roman kritisiert gleich mehrere Aspekte aus unserer heutigen Zeit: Totalitäre Regimes, Reality-Shows, die Verrohung unserer Gesellschaft und ist an einigen Stellen auch Parodie auf einige Moderatoren und Stars.

„Da sich alle Kameras schadenfroh auf ihn richten, (...)“

Mhm, kommt einem doch irgendwie bekannt vor, oder? Das Buch spielt an vielen Stellen auf den Verlust der Privatsphäre an. Wenn irgendwas passiert, wird direkt mit der Kamera drauf gehalten. An vielen Punkten habe ich Dinge aus dem echten Leben wiedererkannt. Das Buch ist in vielerlei Hinsicht eine überspitzte Darstellung der Realität und an manchen Stellen sogar schon reine Realität.

Was ich auch hervorheben will, ist, wie Suzanne Collins die Gewalt darstellt. Bei dieser Thematik droht es übermäßig brutal zu werden - und bei einigen Autoren wäre es das bestimmt auch geworden, die diese Thematik für besonders geschmacklose Darstellungen ausnutzen würden - aber Suzanne Collins passiert gekonnt den schmalen Grad zwischen Schaulust an Gewalt - was ihrer Kritik widersprechen würde, sie kann sich ja nicht etwas zunutze machen, was sie eigentlich kritisiert - und Beschönigung von Gewalt. Das Buch beinhaltet aufgrund seiner Thematik zwangsläufig Gewalt, aber die Darstellungen dieser befinden sich in einem absolut angemessenen und zweckmäßigen Rahmen.

Fazit: „Die Tribute von Panem - Tödliche Spiele“ ist ein sehr überzeugender und unglaublich vielschichtiger dystopischer Roman, der in meinen Augen überaus wichtig ist und nicht ohne Berechtigung geschrieben wurde.