Rezension

Roman über die Entfremdung zweier sich liebender Schwestern, Familiengeheimnisse und die Rolle der Frau sowie den Aufbau eines neuen Lebens

Die sieben oder acht Leben der Stella Fortuna - Juliet Grames

Die sieben oder acht Leben der Stella Fortuna
von Juliet Grames

Bewertet mit 5 Sternen

Stella Fortuna wird kurz nach Ende des Ersten Weltkriegs im Januar 1920 in einem Dorf in Kalabrien geboren. Sie wird schon in ihrer Kindheit zu etwas Besonderen, denn durch Unglücksfälle wäre sie schon beinahe drei- oder viermal verstorben. Verschwörungstheorien werden laut, dass der "Böse Blick" auf Stella laste. 
In einem Dorf, in dem die Frauen in der Zeit des Heranwachsens von Stella oft auf sich allein gestellt sind, da die Männer als Arbeiter abgewandert sind und sich später im Zweiten Weltkrieg als Soldaten verpflichtet haben, muss Stellas Mutter Assunta vier Kinder alleine großziehen. Ihr Mann Antonio ist nach Amerika ausgewandert und kommt immer nur kurze Zeit zu Besuch, die die Schwangerschaften Assuntas dann zur Folge haben. Stella muss die sexuellen Übergriffe ihres Vaters auf ihre Mutter sowie die beschwerlichen Geburten als kleines Mädchen miterleben und hat sich geschworen, niemals selbst zu heiraten. 

Stella entwickelt sich zu einer jungen Frau voller Widerworte, die sich letztlich aber nicht dagegen wehren kann, kurz vor Eintritt Amerikas in den Zweiten Weltkrieg nach Amerika auszuwandern. Halt gibt ihr stets ihre jüngere Schwester Cettina, die sie sehr liebt und auch beschützen möchte. 
In Amerika müssen die jungen Frauen Fuß fassen, eine fremde Sprache lernen und für ihre Familie das Einkommen mitverdienen, erkennen aber auch die Vorzüge des weitaus fortschrittlicher entwickelten Landes. 
Stellas andauernder Kampf für ihre Unabhängigkeit provoziert nicht nur ihren Vater und weckt seinen Zorn, sondern führt auch zur Entfremdung von ihrer Schwester. Im betagten Alter von über neunzig Jahren werden die beiden Schwestern über Jahrzehnte hinweg kein Wort miteinander gesprochen haben. 

"Die sieben oder acht Leben der Stella Fortuna" erzählt, wie es zur Entfremdung der Schwestern kommen konnte und ob am Lebensende eine Versöhnung möglich wird. 

Es ist eine Familiensaga, die ein ganzes, bewegtes Leben schildert. Der Name Stella Fortuna bedeutet Glücksstern, aber schon der Titel des Romans deutet darauf hin, dass Stella durch ihre zahlreichen Nahtoderfahrungen nicht immer Glück hatte - oder ist es dagegen Glück, dass sie sieben- oder achtmal überlebt hat? 

Der Roman ist angelehnt an die Familiengeschichte der Autorin und wirkt trotz der mysteriösen, lebensgefährdenden Vorfälle glaubhaft und authentisch. Das Leben zwischen Erstem und Zweitem Weltkrieg in Kalabrien sowie nach Ende des Zweiten Weltkriegs in Conneticut wird anschaulich und sehr lebendig beschrieben. 
Stella ist eine beeindruckende Frau, die für ihre Unabhängigkeit und Freiheit kämpft und ungeachtet gesellschaftlicher Konventionen ihren Weg gehen wird. Sie ist ein vielschichtiger Charakter, der nicht nur als schön und klug dargestellt wird, sondern vor allem auch unheimlich stur und eigensinnig. 
Es ist ein Roman über die Entfremdung zweier sich liebender Schwestern, über Familiengeheimnisse und die Rolle der Frau sowie den Aufbau eines Lebens in einer neuen, unbekannten Welt, der sich über ein ganzes Jahrhundert von Italien bis in die USA erstreckt und durchweg fesselnd geschrieben ist. Hass, Wut, Neid und Vergeltung haben dabei einen fast schon mythischen Anteil, der an Aberglaube grenzt.