Rezension

Romantisch-nüchterne historische Erzählung vor Winterbrauchtumshintergrund

Winterblüte - Corina Bomann

Winterblüte
von Corina Bomann

Bewertet mit 3.5 Sternen

Mit "Winterblüte" hat Carina Bomann einen historischen Roman vorgelegt, dessen Inhalt zwar in der Vorweihnachtszeit spielt, der sich aber dennoch von den üblichen "Weihnachtskitschbüchern" abhebt, da hier der Brauch der Barbarazweige viel eher fokussiert wird als das klassische Weihnachtsfest, welches hier ohnehin ins Hintertreffen gerät, da es von einem herrschaftlichen Ball eingeläutet wird: Das Ehepaar Baabe, ein Gästehaus in Heiligendamm betreibend, hofft hier, Kontakte intensivieren und somit auch den beruflichen Erfolg weiter vorantreiben zu können. Eine besondere Rolle soll hierbei der Tochter Johanna zuteilwerrden, um die seit längerem zwei Männer buhlen: Es ist absehbar, dass Johanna von Beiden einen Heiratsantrag erhalten wird und insbesondere die Mutter drängt Johanna, sich bald für einen der zwei Herren zu entscheiden.
Jedoch hat Johanna heimlich längst mit einem Anderen angebändelt, aber dieser würde von den Eltern keine Zustimmung als zukünftiger Schwiegersohn erhalten: Dennoch hofft Johanna auf ein "Weihnachtswunder" und zögert die von ihr erwartete Entscheidung immer weiter hinaus: An dieser Stelle hat es mich übrigens generell ein wenig irritiert, dass (bzw. wieso überhaupt) klar sein sollte, dass Johanna von beiden Männern in der Adventszeit einen Antrag gemacht bekommen würde.
Die unter Gedächtnisverlust leidende Fremde, die Johannas zwei Jahre älterer Bruder schiffbrüchig vom Strand, an den sie offenbar angespült worden war, gerettet wird und zunächst, gegen den Willen der Mutter, Obdach im Gästehaus findet, macht Johanna mit der Sitte des Barbarazweiges vertraut: So stellt Johanna, wenn auch etwas verspätet, auch einen Zweig ins Wasser, darauf hoffend, dass er bis zum Heiligen Abend blüht, denn das würde darauf verweisen, dass sie doch noch mit ihrer wahren Liebe glücklich werden kann. Auch dies war wiederum ein Punkt in der Handlung, der mich wundergenommen hatte, suggerierte diese Angabe doch, dass Johanna sich vor dem Weihnachtsfest keinesfalls würde entscheiden müssen und mir war auch nicht klar, was sein sollte, würde der Zweig später keine Blüten zeigen - abgesehen davon, dass ich mir nicht vorstellen konnte, wie ihre Eltern reagieren würden, würde sie später sagen: "Ach, der Zweig blüht, und darum, liebe Eltern, werde ich jetzt XY, zu dem ich eigentlich gar keinen Kontakt haben sollte, heiraten." ("Ach, natürlich, liebes Kind: Wenn der Zweig das sagt, heissen wir diesen Lump natürlich herzlich in unserer Familie willkommen.")
Mir ist klar, dass der Zweig ein Symbol war und grad aufgrund ihres festen Glaubens daran wird Johanna sich auch entsprechend bemüht haben, ihr Herzblatt in den Augen der Eltern besser dastehen zu lassen und da habe ich schon erwartet, dass sich der Konflikt zwischen Johannas Eltern und ihrem "Wunschmann" später zumindest halbwegs lösen würde. Da dachte ich aber wiederholt darüber nach, was denn wäre, wenn der Zweig später nicht blühen würde: Würde Johanna das als Zeichen sehen, dass sie sich doch in den Falschen verguckt hätte? Ich gebe zu: Ich hoffte auf ausbleibende Blüten, da ich allzu gerne wissen wollte, wie Johanna in dem Fall vorgehen würde und das machte für mich die wesentliche Spannung des Romans aus.

Der Nebenstrang, der vom unerwarteten Hausgast handelte und hauptsächlich berichtete, wie es zwischen dem jungen Baabe und ihr zu knistern begann, was der Hausherrin mehr als ein Dorn im Auge war, ebenso wie einer der Angestellten, die unbedingt in die Familie Baabe einheiraten wollte, war für mich wenig aufregend. Vor Allem in Traumsequenzen kamen Erinnerungsfetzen hoch; Frau Baabe äußerte regelmäßig, dass sie die gedächtnislose Fremde für eine schauspielernde Betrügerin hielt oder, ähnlich schlimm, einen Nachkömmling des armen Pöbels, die Erinnerungsfragmente sprachen dagegen und ich fand es völlig vorhersehbar, wie dieser Teil der Geschichte letztlich ausgehen würde und als wer die Fremde sich entpuppen würde bzw. welcher Gesellschaftsschicht zugehörig.
Überrascht hat mich allerdings die tatsächliche Familienzugehörigkeit; ich hatte eingangs damit gerechnet, dass sie zu einer anderen Sippschaft zählen würde, aber die Gesellschaftsklasse war völlig richtig eingeschätzt. 

Schön fand ich, dass die Geschichte zum Jahrhundertwechsel spielte und hier bereits durchklang, dass die Gesellschaft sich in einem Wandel befand: Die Mutter war noch sehr konservativ, während der Vater dem Moderneren gegenüber nicht ganz so verschlossen war, dem Bruder schien es weitgehend egal zu sein, wobei er aber auch bereit war, seine Schwester zu unterstützen und generell keine "Der Mann ist der Chef und als Frau hat man zu gehorchen"-Attitüde an den Tag legte und Johanna merkte man an, dass sie mit den üblichen Konventionen haderte und auch überlegte, hier den "Ausbruch" zu wagen. Dabei wirkte dies alles wie in natürlicher Generationenunterschied, ein normaler Abnabelungsprozess und das obligatorische Erwachsenwerden. 
Ich fand das alles sehr authentisch für eine bessergestellte Familie am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Allzu konfliktreich war "Winterblüte" nun nicht, es war einfach eine nette Erzählung einer Episode, wie sie sich eben um 1900 im Hause einer Familie in Heiligendamm abgespielt hat. Besonders tiefgründig oder historisch relevant ist "Winterblüte" nicht; Charlotte Roths Romane, die von der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erzählen, empfinde ich bereits als historisch deutlich vielsagender.
"Winterblüte" ist für mich da doch eher oberflächliche Unterhaltungsliteratur, die mir beim Lesen ausgesprochen gut gefiel: Das war eine fluffige Familiengeschichte aus vergangenen Tagen. Dauerhaft eingebrannt hat sich "Winterblüte" mir aber definitiv nicht.