Rezension

Rothfuss einmal anders

Die Musik der Stille
von Patrick Rothfuss

"Du solltest dir dieses Buch vielleicht nicht kaufen." Mit diesem Satz beginnt die Vorbemerkung, die Rothfuss seinem Buch voranstellt: Denn erstens sei dieses Buch nicht zu verstehen ohne Kenntnis der Romane "Der Name des Windes" und "Die Furcht des Weisen", zweitens aber sei dieses Buch ganz anders, denn es biete keine Fortsetzung des Handlungsstranges um Kvothe. In der Nachbemerkung wird er noch deutlicher: Das Buch enthält keine Handlung, eine einzige Figur, also auch keine Dialoge und Konflikte. Und dennoch: Die ersten Probeleser und die Lektorin mochten das Buch, es wurde veröffentlicht - und nun sind die Reaktionen der Leser zwiespältig: Von gelangweilt bis begeistert.

Was enthält es denn nun? Das Buch beschreibt einige Tage im Leben von Auri. Auri lebt im "Unterding", ohne Kontakt zu Menschen. Sie spürt, dass "er", der nicht näher benannt wird, sie in sieben Tagen besuchen wird, und sie bereitet sich darauf vor. So sucht sie drei passende Geschenke und möchte etwas mit ihrem Besuch teilen. Neben diesem bevorstehenden Höhepunkt verläuft die Zeit wie auch sonst: Auri bewegt sich durch die verschiedenen Räume, sie fühlt, ob alles in Ordnung ist, ob sich alle Dinge an ihrem Platz befinden und dort zufrieden sind. Dabei  erspürt sie das Wesen der Dinge: Eine Tür kann schüchtern sein, ein Zahnrad voller Liebe und Antworten. 

Auri sucht nicht danach, wie sie ihr Leben gut gestalten kann, sie stellt nicht sich selbst in den Mittelpunkt. Sie ist eine Dienerin der Gegenstände: "Alles war genau dort, wo es sein sollte." (S. 44) Und um das zu erreichen, muss alles auf eine bestimmte Art getan werden: "Oh ja. Es war wirklich wert, die Dinge so zu tun, wie es sich gehörte." 

Ist Auri verrückt? Rothfuss selbst nennt sie "dieses sonderbare, reizende, geistig zerrüttete Mädchen" (S. 172). Jemand, der sich von den Menschen abschottet, keinerlei Kontakt hat, vielen Zwängen gehorcht und dabei halb verhungert - der ist in unseren Augen wirklich psychisch krank. Aber Auris Welt gehorcht anderen Gesetzen als den unseren, und in ihrer Sicht ist alles passend. Wenn wir Auri als krank ansehen, können wir durch das Mitfühlen mit ihr erleben, dass auch in den Augen eines solchen Menschen die Welt sinnhaft ist. 

Oder hat Auri höhere Einsichten? Erspürt sie Zusammenhänge, die uns verborgen sind? Sie hat jedenfalls andere Sinnzusammenhänge. "Macht euch die Erde untertan" ist das Gebot, dem die meisten Menschen folgen; wir versuchen, unsere Umwelt so zu gestalten, dass wir möglichst viel Nutzen daraus ziehen. Es ist die Einstellung eines homo faber, eines Menschen, der aktiv in seine Umwelt eingreift. Auri dagegen dient ihrer Umwelt und ordnet sich ihr unter. Ist das krankhaft oder eine bedenkenswerte Einstellung?

Dieses Buch bietet nicht die üblichen Bestandteile wie einen spannenden plot oder die konfliktreiche Beziehung verschiedener Menschen. Dafür bietet es die Möglichkeit, in eine völlig fremde Welt einzutauchen. Bei der Lektüre kann der Leser sich in die ungewöhnliche und geheimnisvolle Auri hineinversetzen und etwas von ihrer Welt verstehen. Und schließlich kann er sich auch zu einigen philosophischen Gedanken inspirieren lassen.