Rezension

Ruhige, atmosphärische Geschichte mit viel Charme, ineinandergreifenden Details und wahnsinnigen Charakterentwicklungen

Der Uhrmacher in der Filigree Street -

Der Uhrmacher in der Filigree Street
von Natasha Pulley

Bewertet mit 4.5 Sternen

Ein Bombenanschlag auf Scotland Yard – der Protagonist Thaniel überlebt nur, weil ihn seine Uhr mit einem Alarmton gewarnt hat. Doch was steckt dahinter und wer ist der Uhrmacher, der ihm das Leben gerettet hat? Alles Fragen, die im Laufe der Geschichte geklärt werden und zu interessanten Begegnungen führen.

Der Einstieg in die Geschichte in der viktorianischen Welt Englands gelingt gut. Es ist durchweg eine überwiegend ruhige Erzählung, die jedoch keineswegs langatmig oder schleppend wirkt, sondern durch die dadurch entstandene Zeit hat man die Möglichkeit, die Charaktere näher kennenzulernen und ihre Hintergründe und Handlungsweisen zu verstehen. Zudem passiert einiges auf zwischenmenschlicher Ebene. Trotz dieser leisen Töne ist diese Geschichte dennoch magisch.

Es sind interessante Charaktere, die alle sehr individuell gezeichnet sind. Jeder kann immer wieder aufs Neue überraschen und sie haben sich schnell in mein Herz geschlichen. Die Autorin hat es geschafft, sie gut darzustellen und auch eine langsame, aber dennoch bemerkbare Entwicklung einzubauen. So ist Thaniel beispielsweise zu Beginn noch blass dargestellt, passend zu seinem tristen und unspektakulären, immer gleich ablaufenden Alltag, während er im weiteren Verlauf, wenn er weiter aufblüht, vielschichtiger aufgebaut wird und wir Charakterzüge bei ihm entdecken können. Unvergleichlich ist auch Mori - ein japanischer Uhrmacher, der sich für alles zu interessieren scheint, was Mechanik bzw. Uhrwerke in sich trägt und von dem eine Menge Kreativität erwartet werden kann. Und der nicht zu vergessen ein Geheimnis mit sich trägt, dass für den weiteren Verlauf der Geschichte eine entscheidende Bedeutung hat.

Der Schreibstil gefällt mir sehr gut. Er versetzt uns in die Zeit, in der die Geschichte spielt, lässt sich aber dennoch leicht und flüssig lesen. Durch ihn wird eine authentische Atmosphäre geschaffen. Zudem ist er detailverliebt. Es gibt viele Details, die uns noch ein besseres Gespür für das Setting und die Stimmung geben, so zum Beispiel ein Oktopus - nicht so, wie ihr ihn euch jetzt vermutlich vorstellt, aber sehr humorvoll und niedlich, den man am liebsten selber Zuhause haben möchte. Diese Details wirken zunächst vielleicht unwichtig, jedoch greifen sie im Verlauf alle ineinander und man merkt, wie gut und aufmerksam die Geschichte konzipiert wurde, dass wirklich alles passt.
Erzählt wird die Geschichte überwiegend aus der Perspektive von Thaniel, in der dritten Person, aber gelegentlich erhalten wir auch durch Kapitel aus Grace Sicht Einblicke in ihre Gedanken. An einigen Stellen gibt es auch Rückblicke, die noch einmal eine ganz andere Atmosphäre und ein anderes Setting vermitteln und auf die man sich freuen kann.

Das schöne an der Geschichte ist, dass alles möglich scheint und man nicht wirklich eine Ahnung hat, was geschehen wird, inwiefern welche Details von Bedeutung sind und wie alles ineinander greift.

Es werden wichtige Themen, die zu der damaligen Zeit alltäglich waren, aufgegriffen. Sei es beispielsweise die Rolle der Frau, die oftmals keinen eigenen Willen zeigen durften und sich den Anweisungen des Manns unterordnen mussten oder das Misstrauen gegenüber Menschen mit ausländischen Wurzeln oder mit besonderen Fähigkeiten.

Die Geschichte ist in sich rund und abgeschlossen, auch wenn es noch einen zweiten Teil gibt, der noch nicht übersetzt wurde. Es ist ein stimmiges Konzept, dass der Bombenanschlag als guter Aufhänger dient, es dann aber um tiefergreifende Dinge geht und die Charaktere mehr im Vordergrund stehen. Und dennoch wird geklärt, wer unter welchen Umständen für den Anschlag verantwortlich ist. Die Konzeption und Umsetzung ist einfach sehr schön und gelungen.

Wer eine spannungsgeladene Geschichte mit einem hohen Krimi-Anteil sucht, für den ist diese Geschichte vermutlich nichts. Wer aber einen Mix aus historischem Setting, magischen Elementen, einem Hauch Spannung und ganz viel Charakterentwicklung sucht, der kann hier eigentlich gar nicht falschliegen. Es ist etwas Einzigartiges, was man so selten liest - eine so ruhig erzählte Geschichte, die trotzdem nicht langatmig wirkt und einen dennoch in ihren Bann zieht, zum Weiterlesen animiert und einen bis zum Ende nicht ganz durchschauen lässt, was eigentlich vor sich geht.