Rezension

Ruhiger aber spannender Roman, teilweise vorhersehbar. Atmosphärische Kulisse und große Familiengeheimnisse.

Die Nanny - Gilly Macmillan

Die Nanny
von Gilly Macmillan

Bewertet mit 4 Sternen

Familiengeheimnisse und atmosphärisches Setting

Inhalt:

Jocelyn wächst wohl behütet und im Luxus auf, aber ihre Eltern Virginia und Alexander Holt sind sehr distanziert. Partys und gesellschaftliches Ansehen sind ihnen wichtiger als familiäre Wärme und Geborgenheit. Nanny Hannah ist Vertraute und Mutterersatz für das Kleinkind.

Wie groß ist Jocelyns Schmerz als Hannah über Nacht spurlos verschwindet! Ihre Wut richtet sich gegen ihre Eltern.

Auch Jahre später ist das Verhältnis zerrüttet. Doch ein Schicksalsschlag führt Jocelyn - von allen nur noch Jo genannt - und ihre kleine Tochter Ruby zurück in ihre Heimat und das Familienanwesen.

Plötzlich steht eine ältere Dame, die sich als Hannah vorstellt, vor der Tür. Jo ist überglücklich und stellt sie als Nanny für Ruby ein. Doch Virginia misstraut Hannah, denn sie weiß, warum die Nanny vor dreißig Jahren verschwunden ist.

Familiengeheimnisse, Intrigen und Lügen kommen ans Licht und Jo weiß bald nicht mehr, wem sie trauen kann.

 

Mein Eindruck:

Der Einstieg in die Geschichte fällt leicht und die Gliederung ist spannend und abwechslungsreich gestaltet durch den Wechsel verschiedener Zeitebenen und Perspektiven:

1976: Die Vorgeschichte und Hannahs Begegnung mit Lord und Lady Holt.
1987: Jocelyn (7 Jahre) steht über Nacht ohne ihre vertraute Nanny da.
Heute: Jo (37 Jahre, alleinerziehende Witwe und Mutter der 10 jährigen Ruby) kehrt in ihre Heimat zurück und begegnet Hannah.

Der Schreibstil ist einfach gehalten und die Erzählweise ist ruhig und passt zur Kategorie "Roman". Einen Pageturner mit viel Thrill sollte man daher nicht erwarten. Trotzdem steckt viel Raffinesse in der Entwicklung des Settings und der Art, wie die Autorin dem Leser häppchenweise Informationen liefert. 

Nach der Entdeckung der Toten im See des Familienanwesens kommen immer weitere Geheimnisse, Lügen und Verwicklungen hinzu: Anscheinend hat jeder erwas zu verbergen bzw. die Vergangenheit hat immer zwei Seiten.

Wer aber ist Opfer und wer Täter? Jo gerät immer wieder zwischen die Fronten. Trotz gesellschaftlicher Unterschiede sind Kindermädchen Hannah und Mutter Virginia sich sehr ähnlich: manipulativ, gewalttätig. Die eine schwärzt die andere an und umgekehrt.

Aber wer lügt? Wie verlässlich ist die kindliche Erinnerung? Was ist damals tatsächlich geschehen?

Das Miträtseln geschieht automatisch, aber ein großes Manko ist für mich die Vorhersehbarkeit an der einen oder anderen Stelle, insbesondere bei der Auflösung, wobei das Ende einen runden und zufriedenstellenden Abschluss liefert.

Irgendwann misstraut man als Leser jedem, denn scheinbar ist niemand der, der er vorgibt zu sein. Es gelingt mir daher auch nicht, große Sympathie für einen der Charaktere zu entwickeln. Auch nicht für Jo, die oft zu sehr mit sich und ihren Problemen beschäftigt ist bzw. zu häufig an ihrem Verstand zweifelt.

Dafür bilden die Geheimnisse und das atmosphärische Setting sowie der Abstecher in die glamouröse Welt der Adeligen und die der Kunst einen guten Rahmen. 

Eine Leseempfehlung für alle, die Familiengeheimnisse, atmosphärische Beschreibungen und Intrigen im englischen Landadel mögen!

 

Fazit:

Die Atmosphäre und die Beschreibung der Schauplätze sind sehr gelungen, die Story ist spannend und interessant, denn es werden immer Geheimnisse aufgedeckt.
Einige Entwicklungen sind aber vorhersehbar und ein gesundes Misstrauen gegenüber allen Charakteren empfiehlt sich bei der Lektüre. Sympathien entwickelt man daher nur schwer.
Wer (fast) unblutige, geheimnisvolle Familiendramen mit der einen oder anderen Überraschungen liebt, kommt hier auf seine Kosten.  

 

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Rezensiertes Buch: "Die Nanny" aus dem Jahr 2020