Rezension

Rundum gelungene Fortsetzung: überzeugende Figuren, atemlose Spannung & Tiefe

Rache der Orphans - Gregg Hurwitz

Rache der Orphans
von Gregg Hurwitz

~ Gregg Hurwitz liefert wieder ab und beweist einmal mehr, dass die „Orphan X“-Reihe zu den besten überhaupt gehört und dass man sie sich keinesfalls entgehen lassen sollte. Der Schreibstil ist wie gewohnt angenehm, erzeugt routiniert Spannung und beschreibt Emotionen intensiv und nuanciert – lässt die LeserInnen also niemals kalt. Inhaltlich gelingt es dem Autor wieder, einen interessanten, unvorhersehbaren Plot mit klassischen Thriller-Elementen und Tiefe zu verbinden, Themen wie Verantwortung, Familie, Trauer, Opfer, die man bringen muss, und Rache stehen dieses Mal im Mittelpunkt. Die Figurenzeichnung gehört wieder zur den größten Stärken des Buches, Evan darf neben seinen Rachegelüsten und seiner Wut auch wieder seine sensible Seite und viel Herz zeigen, altbekannte Charaktere enthüllen neue, wunderbar überraschende Facetten von sich, neue Figuren überzeugen ebenso. Auch, was die Spannung, die actionreichen Szenen, die unerwarteten Wendungen und die Spuren von Humor betrifft, die das Buch wieder durchziehen (obwohl auch wieder Zeit für ruhigere Momente ist), gibt es hier nichts auszusetzen. Kurz: Für Fans sowieso ein Muss, und wer die Reihe bisher noch nicht auf dem Schirm hatte, dem möchte ich sie hiermit wärmstens ans Herz legen ( unbedingt mit Band 1 beginnen!). Für mich und alle anderen Fans heißt es nun erst einmal wieder warten, bis Evans Geschichte 2019 endlich weitergeht und der Nowhere Man sich endlich wieder am Telefon meldet mit den Worten: „Brauchen Sie meine Hilfe?“ ~

Inhalt

Evan Smoak ist als der „Nowherre Man“ bekannt. Er hilft Menschen, die in großen Schwierigkeiten stecken und geht dabei nach einem strengen Moralkodex vor. Doch das war nicht immer so – früher war Evan ein Auftragskiller der Regierung – dieselben Auftraggeber wollen ihn und das gefährlich Wissen, das er besitzt, nun auslöschen. Dabei machen sie auch nicht vor jenen Menschen halt, die Evan die Welt bedeuten. Als Jack, sein Ziehvater und Ausbilder, von seinen Feinden getötet wird, zählt für Evan nur noch ein Gedanke: Rache, denn dieses Mal ist es persönlich. Vor seinem Tod gelingt es Jack jedoch noch, Evan eine mysteriöse Nachricht zu hinterlassen: Er soll ein Paket abholen. Eine Mission, die ganz anders verlaufen wird, als der erfahrene Killer denkt, und die sein Leben auf den Kopf stellen wird…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Band #3 der Orphan-Reihe
Verlag: HarperCollins
Seitenzahl: 464
Erzählweise: Figuraler Erzähler, Präteritum
Perspektive: hauptsächlich aus männlicher Perspektive (Evan Smoak), manchmal auch weibliche Perspektive, wechselnde Perspektiven
Kapitellänge: mittel bis kurz
Tiere im Buch: - Eine Ente wird als Köder benutzt und im Anschluss kaltblütig erschossen. Ansonsten werden keine Tiere verletzt oder getötet. Unangebracht fand ich den Vergleich des Geräusches, das die Bremsscheiben eines Autos machen, mit dem Geräusch, das ein Huhn macht, wenn man ihm den Hals umdreht. Es sollte wohl lustig sein, aber das ging daneben, da ich Gewalt gegen Tiere absolut nicht witzig finde.

Warum dieses Buch?

Da mich der erste Band damals vollkommen begeistern konnte und bis heute einer meiner absoluten Lieblingsthriller ist, begleite ich Evan Smoak nun schon seit einigen Jahren auf seinem Weg. Der Protagonist ist einmalig, nicht nur gnadenlos effektiv und gefährlich, sondern ebenso gnadenlos sympathisch. Daher führte an diesem dritten Band natürlich kein Weg vorbei.

Meine Meinung

Einstieg (+)

Wie immer ist mir der Einstieg wieder sehr leicht gelungen. Sofort war ich wieder in Evans Welt, es ist mittlerweile ein bisschen so wie heimkommen – ein Gefühl, dass bei mir nur beim Lesen absoluter Lieblingsreihen aufkommt. Der spannende Prolog, in dem Evan verletzt am Steuer sitzt, von der Polizei verfolgt wird und besorgt an die Person denkt, die laut im Kofferraum gegen die Wand hämmert, macht sofort neugierig, denn natürlich will man wissen, wie Evan in diese Lage geraten konnte.

„Evan seufzte.
Jetzt hatten sich hinter ihm drei Streifenwagen mit voller Weihnachtsbeleuchtung und heulenden Sirenen auf beide Fahrbahnen verteilt und kamen immer näher.
Genau in diese Moment wurde auch das Hämmern aus dem Kofferraum lauter.“ E-Book, Position 38

Schreibstil (♥)

Auch dieses Mal gibt es am Schreibstil wieder nichts auszusetzen. Erneut schreibt Gregg Hurwitz einfach (dabei aber nicht oberflächlich), flüssig, angenehm – routiniert erzeugt er mit seinen Worten atemlose Spannung und beschreibt nuancierte Gefühle sehr intensiv, so dass man als LeserIn wieder stark emotional involviert ist. Evan Smoak lässt seine LeserInnen auch in diesem Band nicht kalt. Auch Spuren von Humor lassen sich im Buch finden. Die Erzählweise ist wieder sehr filmisch, schnell, temporeich – manche Szenenübergänge wirken wie Schnitte, das Kopfkino leuchtet in allen Farben auf und man kann die Verfilmung des Buches schon fast vor sich sehen. Man merkt definitiv, dass der Autor auch Drehbücher schreibt. (Übrigens soll die Reihe nun als Serie verfilmt werden – Vorfreude!)

„Trotz der großzügigen Dimensionen seiner Wohnung bekam Evan keine Luft mehr. Er spürte einen wilden Schmerz in seiner Brust, etwas, das er nicht einordnen konnte. Angst?“ E-Book, Position 70

Wie blutig schreibt Gregg Hurwitz?

Auch in diesem Band wird es mitunter wieder sehr blutig und brutal. Evan lässt seinen Rachegelüsten freien Lauf und zeigt nur wenig Mitleid mit seinen Feinden, die er gerne auch mal leiden lässt, bevor er sie endlich erlöst. Mir erschien Evan in diesem Band viel brutaler, gewissenloser, kälter und vielleicht sogar ein bisschen weniger liebenswürdig (den Ton Joey gegenüber fand ich teilweise unangebracht und zu schroff) als in den letzten Bänden – eine Veränderung, die mir zwar nicht wirklich gefallen hat, die jedoch aber auch irgendwie verständlich und nachvollziehbar ist (er trauert immerhin und ist wütend, macht eine schwierige Phase durch).

Inhalt, Themen, Botschaften & Ende (♥)

Auch dieses Mal gelingt es dem Autor wieder, einen wendungsreichen, unvorhersehbaren Plot mit klassischen Thrillerelementen und ernsten Themen zu verbinden und dabei in die Tiefe zu gehen. „Rache der Orphans“ bietet nicht nur actionreiche Verfolgungsjagden und Kampfszenen, sondern ebenso wieder stille und intensive Momente, in denen Evan seine sensible Seite, sein Mitgefühl und seine Trauer zeigen darf. Erneut spielen Themen wie Kindheit, Pflichten, Opfer, die man bringen muss, die Frage, was ein glückliches Leben, was Stärke ausmacht, Verantwortung, Trauer, Rache, moralisches Handeln und Familie wieder eine wichtige Rolle. Teilweise nimmt Evan in diesem Buch erstmals die Rolle eines Vaters ein – neues Terrain für den eigentlich distanzierten Einzelgänger. Der Showdown am Ende macht neugierig auf die Fortsetzung und kann wieder mit einigen unerwarteten Wendungen und gelungenen Momenten aufwarten – Gregg Hurwirtz hat erneut ein Buch geschrieben, das das Label „Thriller“ verdient.

Etwas negativ aufgefallen ist mir erstmals das übertriebene Product Placement im Buch. Wahrscheinlich gab es das auch schon in den Vorgängerbänden, dieses Mal wurde aber meine Aufmerksamkeit darauf gelenkt. Meiner Meinung nach hätte man nicht von jedem Wasserhahn-, Mikroskop- und Tintenrollerhersteller den Namen nennen müssen, aber bitte. Weil es sich hier um ein Buch für Erwachsene handelt, die dies kritisch evaluieren können, sehe ich diesen Punkt nicht wirklich als problematisch, finde ihn nur etwas anstrengend manchmal.

Protagonist & Figuren (♥)

Auch wenn der Protagonist dieses Mal auch Seiten von sich gezeigt hat, die mir nicht wirklich gefallen haben (Rachegelüste, Grausamkeit, Gewissenlosigkeit, kein Mitgefühl bei seinen Feinden), so ist die Figurenentwicklung doch wieder eine der größten Stärken des ganzen Buches. Evan entwickelt sich weiter, hadert immer noch mit seinem Schicksal, verzaubert immer noch mit Szenen voller Mitgefühl und beweist erneut viel Herz. Gregg Hurwitz baut bekannte Figuren weiter aus, lässt sie gänzlich neue (und teilweise wunderbar überraschende) Facetten von sich zeigen, verleiht ihnen mehr Tiefe und Glaubwürdigkeit. Aber auch neue Charaktere werden eingeführt, auch sie sind liebevoll ausgearbeitet und können wieder vollkommen überzeugen. Von diesem Schriftsteller können sich einige andere AutorInnen eine dicke Scheibe abschneiden, denn ausgezeichnet kann ein Thriller nur sein, wenn er Spannung, Tiefe und dreidimensionale Figuren vereint. Gregg Hurwitz zeigt auch dieses Mal wieder, wie das geht.

„Er lag da und starrte an die wasserfleckige Karte an der Decke, auf der die ganze Welt in all ihrer Düsternis und Vielschichtigkeit abgebildet schien.“ E-Book, Position 1467

Spannung & Atmosphäre (+)

Auch wenn die Spannung nicht durchgehend atemlos ist (auch ruhigere Momente stehen im Fokus), so konnte mich der Autor dennoch mit vielen unerwarteten Wendungen, einem interessanten Plot und vielen actionreichen, spannenden Momenten überzeugen. Es machte wieder Spaß, Evan auf seinem Weg zu begleiten, sogar ein bisschen als als im ruhigeren, langsameren zweiten Band. Den Auftakt kann „Rache der Orphans“ zwar nicht toppen, aber Gregg Hurwitz schließt mit diesem Buch nahtlos daran an und beweist einmal mehr, dass diese Reihe zu einer der besten überhaupt gehört. Insgesamt sollen fünf Bände geplant sein – ich werde mit Sicherheit bis zum Schluss dabei sein und kann es kaum erwarten, bis die Fortsetzungen erscheinen!

Geschlechterrollen (+/-)

Dieses Mal gibt es in diesem Bereich zwar wieder viel, aber nicht nur Lob von mir. Einerseits ist Evan selbst kein Sexist, sondern putzt und kocht mit Leidenschaft, bewundert manche Dame für ihre ausgefeilte Kampftechnik und fühlt sich beispielsweise auch von einer erfolgreichen Anwältin nicht eingeschüchtert. Zudem gibt es ein breites Spektrum von Frauen im Buch – mächtige, gut ausgebildete, erfolgreiche Frauen, alleinerziehende Mütter, eiskalte Killerinnen – und wichtige Themen wie Gewalt gegen Frauen werden angemessen aufgegriffen und kritisiert. Auch klassische Geschlechterstereotypen wie die Behauptung, dass Mädchen kein räumliches Vorstellungsvermögen hätten, werden widerlegt. Andererseits lässt sich hin und wieder leider auch frauenfeindliche Sprache im Buch finden, Frauen werden (selten zwar, aber immerhin) als Schlam+++, sogar Fo++++ bezeichnet, Mädchenparfüm wirke angeblich fehl am Platz neben Computern, Prostitution wird nicht genügend verurteilt, sondern Prostituierte werden sogar noch abwertend von Evan als Nu++++ bezeichnet, einmal werden zurechtgemachte Frauen als „nuttig aufgemachte Tussis“ beschrieben. Wenn der Autor in den nächsten Bänden noch ein kleines bisschen sensibler auf diesen Aspekt eingeht, bekommt er auch hier die volle Punktzahl!

„‘Es heißt doch immer, Mädchen haben kein räumliches Verständnis. Hat man offenbar vergessen, mir zu sagen.‘
‚Du hättest sowieso nicht hingehört.‘“ E-Book, Position 1730

Mein Fazit

Gregg Hurwitz liefert wieder ab und beweist einmal mehr, dass die „Orphan X“-Reihe zu den besten überhaupt gehört und dass man sie sich keinesfalls entgehen lassen sollte. Der Schreibstil ist wie gewohnt angenehm, erzeugt routiniert Spannung und beschreibt Emotionen intensiv und nuanciert – lässt die LeserInnen also niemals kalt. Inhaltlich gelingt es dem Autor wieder, einen interessanten, unvorhersehbaren Plot mit klassischen Thriller-Elementen und Tiefe zu verbinden, Themen wie Verantwortung, Familie, Trauer, Opfer, die man bringen muss, und Rache stehen dieses Mal im Mittelpunkt. Die Figurenzeichnung gehört wieder zur den größten Stärken des Buches, Evan darf neben seinen Rachegelüsten und seiner Wut auch wieder seine sensible Seite und viel Herz zeigen, altbekannte Charaktere enthüllen neue, wunderbar überraschende Facetten von sich, neue Figuren überzeugen ebenso. Auch, was die Spannung, die actionreichen Szenen, die unerwarteten Wendungen und die Spuren von Humor betrifft, die das Buch wieder durchziehen (obwohl auch wieder Zeit für ruhigere Momente ist), gibt es hier nichts auszusetzen. Kurz: Für Fans sowieso ein Muss, und wer die Reihe bisher noch nicht auf dem Schirm hatte, dem möchte ich sie hiermit wärmstens ans Herz legen (unbedingt mit Band 1 beginnen!). Für mich und alle anderen Fans heißt es nun erst einmal wieder warten, bis Evans Geschichte 2019 endlich weitergeht und der Nowhere Man sich endlich wieder am Telefon meldet mit den Worten: „Brauchen Sie meine Hilfe?“

Bewertung

Idee, Themen, Botschaft: 5 Sterne ♥
Worldbuilding: 5 Sterne
Ausführung: 5 Sterne
Einstieg: 5 Sterne ♥
Schreibstil: 5 Sterne ♥
Dialoge: 5 Sterne ♥
Protagonist: 4,5 Sterne
(Neben)Figuren: 5 Sterne ♥
Atmosphäre: 4 Sterne
Spannung: 4,5 Sterne
Humor: +
Ende: 5 Sterne
Emotionale Involviertheit: 4,5 Sterne
Geschlechterrollen: +/-

Insgesamt:

❀❀❀❀❀♥ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir 5 verdiente Lilien und ein Herz und somit den Lieblingsbuchstatus!