Rezension

Russland und Stalinzeit

Rote Kreuze
von Sasha Filipenko

Bewertet mit 4 Sternen

Ein Buch, das über die Grausamkeiten der russischen Geschichte während des Zweiten Weltkrieges und danach berichtet. Erschreckend und unmenschlich.

Tatjana ist 90 Jahre alt, alleinstehend und leidet an Alzheimer. Das erzählt die Maklerin Alexander bei Übernahme der neuen Wohnung über die direkte Nachbarin. Die Maklerin verspricht ihm noch: „Das ist doch der absolute Jackpot!“ Doch als Leserin dieses Buches zweifelte ich daran, denn Tatjana ist sehr übergriffig, malt sogar ein rotes Kreuz an seine Tür, damit sie wieder nach Hause findet.

Gleich am ersten Tag gelingt es ihr, Alexander in ihre Wohnung zu locken und ihm Teile ihrer Lebensgeschichte zu erzählen. Er erfährt, dass sie 1941 Kriegsgefangenenlisten vom Roten Kreuz ins Russische übersetzte und abtippte. Auf einer stand auch der Name ihres Mannes. Schwierig, da Kriegsgefangene und ihre Angehörigen als Deserteure angesehen wurden ...

Der Beginn des Buches ist sehr emotionslos geschrieben. Zumindest erreichte es mich als Leserin nicht. Erst nach und nach stellte sich Kopfschütteln und Herzklopfen ein. Verständnislos verfolgte ich die unmenschlichen Verfahrensweisen der russischen Machthaber während der Stalinzeit. Plötzlich wurde auch Tatjanas emotionslose Erzählweise klar, denn anders war es wohl kaum möglich, solche Grausamkeiten zu ertragen.

„Im Evangelium steht das Kreuz für Leiden und Schmerz aufgrund von Ursachen, die der Mensch nicht zu bezwingen vermag.“ (Seite 244) Tatjana ist überzeugt davon, dass Gott ihr die Alzheimer Krankheit (von der man allerdings noch wenig bemerkt) geschickt hat, damit sie die durch die Ungerechtigkeiten entstanden Wut vergisst, bevor sie vor ihm steht.

Ich finde, dass der weißrussische Autor sehr mutig ist. Darf er denn so offen über diese Zeit schreiben, die die Machthaber zu vertuschen suchen? Auch wenn ich den Einstieg in diese Geschichte als nicht besonders gelungen ansehe, haben mich die Erzählungen von Tatjana, die mit Originaldokumenten untermauert sind, sehr aufgewühlt.