Rezension

Salingers Frühwerk mit kühlem Blick und feinem Gespür

Die jungen Leute
von Jerome D. Salinger

Bewertet mit 5 Sternen

Zu seinen Lebzeiten verbot der US-amerikanische Schriftsteller Jerome David Salinger die Veröffentlichung seiner frühen Texte. Nach seinem Riesenerfolg “Der Fänger im Roggen” von 1951 zog sich Salinger konsequent aus der Öffentlichkeit zurück. Mit seinem plötzlichen Weltruhm konnte der Autor nicht umgehen, veröffentlichte nur noch wenig, bevor er dann ganz von der Bühne verschwand. Jahre lang lebte er völlig zurückgezogen, gab keine Interviews und schrieb nur noch für sich. Fünf Jahre nach seinem Tod scheinen nun drei seiner frühen Erzählungen auch auf Deutsch, die stark an Salingers Vorbild Hemingway erinnern.

Es ist ein sehr schmales Buch, die Geschichten sehr kurz gehalten. Das Preis-Leistungs-Verhältnis scheint nicht wirklich gerecht für ein Buch, das zudem nur durch Verlagswerbung, leere Seiten, einem kurzen Nachwort und einem Lebenslaufs des Autors auf 80 Seiten kommt. Die Stories nehmen in Wahrheit nur 42 Seiten des Buches ein und sind unter einer Stunde gelesen. Jedem Salinger-Leser sollten sie es dennoch wert sein, erkennt man doch in den Texten gut die Wurzeln des Autors, dessen spätere Brillianz auch hier bereits an so mancher Stelle durchscheint.

In der Titelgeschichte “Die jungen Leute” stößt man auf Edna Phillips, die auf einer Party an dem heuchlerischen und unwichtigen Geschwätz der anwesenden Gäste teilnimmt. Alles Gerede bleibt dabei furchtbar belanglos und man bemerkt schnell, welchen Ausgang ihr Gespräch mit dem blasierten Studenten Bill Jameson nehmen wird.

Die Geschichte “Geh zu Eddie” handelt von Helen, einer gerissenen und wohlhabenden Diva. Ihr strenger Bruder Bobby, der Angst davor hat, dass der gute Name ihrer Familie beschmutzt und er so in ein schlechtes Licht gerückt wird, bittet Helen nachdrücklich ihre Affären mit verheirateten Männern zu beenden. Helen nutzt ihre Liebhaber großspurig aus, denkt nicht daran selbst zu arbeiten und bringt ihren Bruder so zur Verzweiflung.

“Einmal die Woche bringt dich schon nicht um”, die letzte Erzählung, geht dann in eine völlig andere Richtung. Ein junger Mann wird zum Militärdienst im Zweiten Weltkrieg eingezogen und verabschiedet sich von seiner Ehefrau, die hofft ihr Mann kommt in die “reizende” Kavallerie, und seiner Tante, um die sich seine Frau in seiner Abwesenheit kümmern soll.

Allen Geschichten gleich sind die spärlichen Charakterbeschreibungen. Salinger schafft es die Personen allein durch die Dialoge lebendig zu charakterisieren. Mit Hilfe einer kurzen und beiläufigen Sprache werden die Figuren klar gezeichnet. So antwortet Bill in der ersten Erzählung auf die Frage, ob er die Kathedrale, deren Beschreibung er für sein Studium kritisieren soll, mit den Worten: “Oh. Ja. Ich nicht. Aber der, der's geschrieben hat. Ich soll sie nach dem kritiseren, was der geschrieben hat, irgendwie so.” Mit wenigen Worten, aber vielen Zwischentönen, schafft es Salinger von Sehnsüchten, Lebenswirklichkeiten und Schwächen der Figuren zu berichten und lässt den Leser so rasch einfühlen in die Gedankenwelt seiner Protagonisten. Zudem sind die Texte, wie auch seine späteren Werke, voll von Andeutungen und Auslassungen, die den Leser über die Leichtigkeit der Erzählungen hinweg zum Nachdenken anregt und nach der eigentlichen Geschichte suchen lässt.

“Doch, Jerome D. Salinger konnte schon damals schreiben. Zum Genie wurde er freilich erst, als er den Horror des Zweiten Weltkrieges hinter sich hatte.” (Hannes Stein, Die Welt – 19.02.2015)

Die dritte Erzählung des Bandes wird vor allem durch den realhistorischen Hintergrund des Autors selbst sehr interessant. Salinger nahm als Soldat an der Landung in der Normandie, an weiteren verlustreichen Feldzügen in Frankreich und der Befreiung deutscher Lager teil. In Paris traf er dabei auch auf Hemingway, der dort als Kriegskorrespondent tätig war und schnell zu Salingers großem Vorbild wurde. Über die schrecklichen Erlebnisse des aufreibenden Kriegsgeschehen schwieg er jedoch und macht nur Andeutungen in seiner Erzählung “Für Esmé – mit Liebe und Unrat”. Stattdessen erlangt Salinger 1951 Weltruhm durch seinen Roman “Der Fänger im Roggen” und wird zu einem der bedeutensten amerikanischen Schriftsteller unserer Zeit.

Für wen lohnt sich nun aber also dieses schmale Buch? Die Erzählungen funktionieren eigentlich nur in Zusammenhang mit Salinger selbst. Die Texte empfehlen sich demnach nicht als Erstlektüre. Leser, die bereits “Der Fänger im Roggen”, “Neun Erzählungen”, “Franny und Zooey” und/oder “Hebt den Dachbalken hoch, Zimmerleute und Seymour wird vorgestellt“ gelesen und Lust auf mehr Salinger haben, dem seien auch diese Erzählungen wärmstens ans Herz gelegt.

Übrigens: Der Nachlass Salingers soll noch weitere unveröffentliche Erzählungen und Romane enthalten, die in den nächsten Jahren ebenfalls veröffentlich werden sollen.