Rezension

same same but different

Fast ein neues Leben -

Fast ein neues Leben
von Anna Prizkau

Bewertet mit 4.5 Sternen

Bücher mit einer hohen Seitenzahl üben einen großen Reiz auf mich aus. Sie versprechen mir über viele, viele Stunden Lesevergnügen und ich muss mich nicht zu schnell von hoffentlich liebgewordenen Charakteren trennen. Im Umkehrschluss bin ich daher sehr skeptisch bei allzu schmalen Bändchen. Unter 150 Seiten greife ich eigentlich sehr selten zu einem Buch. Anna Prizkaus Erzählband hat 111 Seiten und die können es locker mit meinen seitenstarken Wälzern aufnehmen.

Die zwölf Erzählungen haben mich beeindruckt in ihrer Dichte und ihrem einfachen und doch eindringlichen Erzählton. Sie berichten vom sich fremd fühlen, sich anpassen wollen, sich für seine Herkunft und seine Eltern schämen, vom Träumen, vom Lügen, vom Erwachsen werden, vom abgelehnt werden, von Rassismus. Die Ich-Erzählerin gibt in loser Folge Einblick in ihre Kindheit und Jugend. Die Eltern sind mit ihr nach Deutschland ausgewandert, die Mutter kreuzunglücklich in dem neuen Land und der Vater ist vor allem abwesend, wegen seinem Job viel unterwegs. In der Familie herrscht eine große Sprachlosigkeit, es fehlt Achtsamkeit und Fürsorge füreinander. Jeder scheint für sich zu kämpfen und nicht alle können den Kampf gewinnen.

Spannend sind auch die Wahrnehmungen der Ich-Erzählerin zu ihrer Umwelt. Im Erzählton wirkt es fast unbedarft, zuweilen fast klischeehaft und doch seziert sie sich und ihre Begegnungen mit anderen Menschen regelrecht, entlarvt die großen und kleinen Lügen, die wir Menschen uns rausnehmen, mit denen wir vor allem uns schützen wollen.

Mir hat besonders gefallen, dass es der Autorin nicht darum ging, eine sympathische Erzählfigur zu erschaffen, sondern zu zeigen, wie ambivalent wir Menschen sind und unser Verhalten von vielen Faktoren beeinflusst wird, die für Außenstehende und zuweilen auch für uns selbst nicht immer offensichtlich sind. Dass unser Verhalten aber immer auch Auswirkung auf andere Menschen hat, geht ebenfalls klar aus ihren Texten hervor.

Es sind starke 111 Seiten, die mich nachdenklich stimmen, mich berühren und mich in einigen Punkten treffen. Texte, die noch einige Zeit in mir nachklingen werden.