Rezension

Satire als Waffe gegen Leid ?

Wilde Freude
von Sorj Chalandon

Bewertet mit 3 Sternen

Kurzmeinung: Kommt darauf an, was man erwartet: Es ist nicht Fisch und nicht Fleisch. Von beidem was und beides nicht gut. Nur gut geschrieben.

Zeitgenössische französische Romane. Diesmal aus männlicher Sicht. Was kommt da heraus? In „Wilde Freude“ wehrt sich der Autor gegen das Betroffenheitsbild, das unwillkürlich entsteht, wann man bemerkt, dass die Protagonisten Krebs haben. Das Übel unserer Zeit. Das Angstmachende unserer Zeit. Doch der Autor will die Empathie des Lesers gar nicht. Er bricht mit seinem Anfang und führt seinen Roman in den Slapstick. 

 

Das ist verwirrend, denn zunächst ist es genau das, was präsentiert wird: ein Betroffenheitsbild. Ein Rührstück. Absolut einfühlsam zeigt der Autor auf, wie es sich anfühlt, als seine Protagonistin und Icherzählerin Jeanne mit der Diagose Brustkrebs konfrontiert wird und plötzlich die Sonne nicht mehr scheint. 

 

Die vier betroffenen Frauen, die sich bei der Chemotherapie kennenlernen und sozusagen sofort zusammenziehen, eine moderne Selbsthilfegruppe, führen später einen bewaffneten Raubüberfall durch. Nun, warum nicht. Verzweiflung kann einen Menschen zu allem bringen. Die Vorbereitungen auf den Überfall bei einem Juwelier und die Durchführung des Plans, samt arabischer Prinzessin und allem Drum und Dran, sind amüsant zu lesen, entbehren aber jeder Wahrscheinlichkeit. Aber auch der Komik. So dass man sich fragt, was will der Autor ausdrücken? 

 

In „Wilde Freude“ würfelt der Autor zu viele Elemente zusammen und trägt bei den Schicksalen der vier Frauen zu dick auf. Jede von ihnen hat einen männlichen Partner, der sie bei der härtesten Prüfung ihres Lebens nicht nur schmählich im Stich lässt, sondern auch sonst ein armseliges Würstchen ist. Die Frauen sind diesen Männer, die weder Kinder mögen noch zum Unterhalt beitragen, emotional völlig ausgeliefert. Ha? Die moderne Frau lässt sich nicht mehr alles bieten. 

 

Von Betroffenheit zu Slapstick und wieder zurück. Es ist zu viel, um schön zu sein. Obwohl der Autor sprachlich sehr gut aufgestellt ist, muss man diesen Roman verwerfen. Er hätte sich für eine Seite entscheiden müssen, dann wäre mehr drin gewesen, Slapstick oder Betroffenheitsschiene. Der Plan, den Roman, die Krankheit ad absurdum zu führen, ins Surreale hinein, hätte gelingen können. Dann muss man aber konsequent dabei bleiben, und nicht auf den letzten Metern in die Betroffenheitsschiene zurückbiegen, was unfreiwillig komisch wirkt, aber nicht komisch ist. 

 Fazit: Satire als Waffe gegen Leid? Kann funktionieren, tut es hier aber nicht. Mit viel good will gibt es von mir noch drei Sterne. Mit Bauchgrimmen. 

 

Kategorie:
Anspuchsvoller Roman: 2 Punkte
Unterhaltung: 3 Punkte. 

 Verlag dtv, 2020