Rezension

Schachmatt in zwei Zügen

Lukusch -

Lukusch
von Benjamin Heisenberg

Bewertet mit 4 Sternen

Mir ist mal ein Witz erzählt worden, der sich auf den Super-GAU in Tschernobyl bezieht bzw. auf die Folgen für Mensch und Tier durch radioaktive Strahlung. Über Humor lässt sich ja bekanntlich streiten, so könnte der Witz für die einen als geschmacklos und für die anderen als Vertreter des schwarzen Humors durchgehen. Er zeigt aber auch, dass dieser Reaktorunfall in der Ukraine bis heute nicht vergessen ist und sich die Folgen von Strahlung über Jahrzehnte hinweg zeigen können. Der dreizehnjährige Anton Lukusch ist in unmittelbarer Nähe des Atomkraftwerkes aufgewachsen und überlebt den Unfall nur, weil Igor zufällig in der Nähe ist und ihn vor den herumfliegenden Trümmern des Gartenhäuschens mit seiner massigen Gestalt schützt. Die beiden Jungen sind nicht gerade befreundet, doch seit dieser Schicksalsbegegnung physisch aneinandergebunden und müssen nun erzwungener Maßen miteinander klarkommen. Auch im fremden Westdeutschland der späten 80er Jahre. Im stillen Anton wird ein Schachtalent erkannt, dass seines gleichen sucht. Doch mit der neuen Rolle als „Wunderkind“ ist es mit Antons ruhigem Dasein in der Gastfamilie der Ritters schnell vorbei und einflussreiche Persönlichkeiten drängen sich in sein Umfeld. Dreißig Jahre nach Antons Rückkehr in die Ukraine zu seiner Großmutter spürt der Filmemacher Simon Ritter seinem ehemaligen Gastbruder nach, als er ausgerechnet den grobschlächtigen Igor als Schachgroßmeister in den Medien entdeckt und Anton nirgendwo in der Nähe auszumachen ist.

Ich muss zugegeben, ich bin Benjamin Heisenbergs Roman in ganzer Linie auf den Leim gegangen. Erst beim späteren Durchforsten der großen bekannten Suchmaschine musste ich erkennen, dass zwar Schach gerade voll im Trend liegt, aber es Anton, Igor und Simon nur in Heisenbergs fiktiver Welt gibt. Im Stile einer Mockumentary erzählt der Autor ein Stück Weltgeschichte in einer neuen Perspektive nach und spricht klug wie lässig Themen an, die trotz der größtenteils in der Vergangenheit liegenden Schauplätze eine brisante Aktualität aufweisen. Heisenbergs Gespür fürs zwischenmenschlich Absurde ist überraschend unterhaltsam und gleichzeitig schwingen mir seine Dialoge und Innenansichten lange nach. Ein beeindruckendes Spiel mit den Möglichkeiten des Erzählens.